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PROFESSOR HANS KÜNG 80
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LAUDATIO FÜR DANIEL SCHNYDER
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MARIA BECKER „DIE SCHWARZE SPINNE“
LAUDATIO FÜR FABIAN MÜLLER
GEORGE GRUNTZ ZUM 80sten
LAUDATIO FÜR URS MEIER
SILSER HESSE-TAGE: KREISLER UND HESSE
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LAUDATIO FÜR
DANIEL SCHNYDER
THEATER AM NEUMARKT ZÜRICH
MONTAG, 24. NOVEMBER 2008
Motto: «Wir alle tragen Wunden, und
Lob ist, wenn nicht heilender, so doch lindernder Balsam für
sie.»
Thomas Mann
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident,
lieber Daniel Schnyder,
meine sehr verehrten Damen und Herren
Musik und ihre zwillingshafte Verbundenheit
mit dem Tanz
Wer in einem klassischen Konzert einen Blick auf das im Saal versammelte
Publikum wirft, kommt kaum auf den Gedanken, dass die Musik einmal
zusammen mit der Atmung, dem Herzschlag und der körperlichen
Bewegung eine unzertrennliche Einheit gebildet haben.
Die äusserliche Gelassenheit während der Musikdarbietung,
die Attitüde des von der körperlichen Wirkung der Musik
(scheinbar) unbeeinflussten Zuhörers, ist jedoch alles andere
als in der Natur des Menschen verankert.
Die ursprünglich enge Verknüpfung von Musik und Bewegung
musste erst einmal aufgebrochen werden, und die Musik hatte zu ihrem
Zwillingsbruder Tanz auf Distanz zu gehen, bevor sie zu ihrem kühnen
Alleingang und Höhenflug abheben konnte.
Der Musiksoziologe Kurt Blaukopf ist davon überzeugt, das «die
Körperfeindlichkeit des Christentums die Grundlage für die
Autonomisierung des Musikalischen erst geschaffen hat. Das Christentum
als die einzige unter den Schriftreligionen, die nie einen kultischen
Tanz gekannt hat, war tendenziell tanzfeindlich eingestellt.»
Von den wenigen Ausnahmen gegen diese Praxis soll hier nicht die Rede
sein.
Die Entkoppelung des Musikalischen aus einem Komplex, der ursprünglich
einmal Sprache, Musik und Bewegung eng umfasste, hat, so darf vermutet
werden, den Weg freigemacht für den beispiellosen Höhenweg,
den die abendländische Kunstmusik, insbesondere ihre Instrumentalmusik,
beschritten hat.
Ihre zwillingshafte Verbundenheit mit dem Tanz, und das heisst: mit
körperlicher Bewegung, hat die Musik jedoch nie und zu keiner
Zeit gänzlich verleugnet, denn weder in der h-Moll-Messe noch
in der Jupiter-Sinfonie oder in Mahlers «Lied von der Erde»
sind diese Spuren gänzlich getilgt.
Wie anders kämen denn sonst die 120 Menuette in die ebenso vielen
Sinfonien eines Joseph Haydn?
Die europäische Musikgeschichte ist also voll von Beweisstücken
der Auflehnung gegen die Entkörperlichung. Als sicht- und hörbare
Revolten können die Walzerwut des 19. Jahrhunderts, die Befreiungsbewegung
des Dixieland-Jazz nach dem Ersten Weltkrieg oder alle die Rock- und
Pop- und sonstigen Events unserer Tage betrachtet werden, deren Musik
«in die Beine fährt», und nicht nur dorthin.
Schon im 4. Jahrhundert ist in einer Sentenz von Ephrem dem Syrer
etwas von dieser Spannung zu verspüren:
«Singe nicht heute Psalmen mit den Engeln, um morgen wieder
mit dem Dämon zu tanzen.»
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Daniel Schnyder |
Musik, die durch etwas hindurchgegangen ist,
und solche, die aus erster, warmer und herzlicher Hand lebt...
Wie aber kommen solche Vorbemerkungen in eine Laudatio für einen
Musiker, der weder die «Matthäuspassion» aufführt
noch einer Big Band vorsteht?
Ganz einfach deshalb, weil wir einem Komponisten applaudieren wollen,
dessen musikalisches Weltbild keine Mühe hat, die Blutsverwandtschaft
von Musik und Bewegung, von Klang, Rhythmus und Körperlichkeit
zu akzeptieren.
In Daniel Schnyders kompositorischem Schaffen gibt es beides, nämlich
«eine Musik, die durch etwas hindurchgegangen ist, und eine
solche, die aus erster, warmer und herzlicher Hand lebt» –
um es mit Worten von Thomas Mann auszudrücken.
Als globaler Weltenwanderer kommt Daniel Schnyder mit den unterschiedlichsten
Musikwelten und Musikszenen in Berührung. Wenn jemand von sich
sagen kann, «nichts Musikalisches ist mir fremd», dann
wohl Daniel Schnyder.
Als echter Weltbürger ist er sprachgewandt, selbstbewusst und
mit der eleganten Sicherheit des Erfolgsverwöhnten ausstaffiert,
doch ist auch ein milder Hauch von Misstrauen bei genauerem Hinhorchen
festzustellen. Es ist die Abwehr des oft verletzten Künstlers.
Dabei ist Daniel Schnyder nicht auf dem Kartoffelacker der Kultur
zur Welt gekommen und dort aufgewachsen, wie so manch einer, mit dem
er später in verrauchten Lokalen seine Jazznächte verbrachte.
Seine Herkunft, die Hochkultur seines Elternhauses, hat ihn geprägt.
Er hat den Blick des Ethnologen geerbt, der in den Konturen einer
Vase eine versunkene Kultur zu erkennen und zu rekonstruieren vermag.
Original-Ton Schnyder:
«Als Kind in einer musikalisch hellwachen
Familie habe ich eigentlich nur Cello geschabt und Noten gespielt,
aber schon mit 12 Jahren den Jazz als das eigentlich Kreative in der
Musik entdeckt. Ein ganz normales Leben in Helvetien, Gymnasium mit
A-Matur gemäss Professor Unrat, Griechisch, Lateinisch, nur Buben
in der Klasse – Punkt!»
Man muss mit dem griechisch-lateinischen Wortschatz einigermassen
vertraut sein, will man mit Daniel Schnyder substantiell über
Gott und die Welt, vor allem aber über die Welt und deren Bewohner
reden. Dabei kann es vorkommen, dass er in einem Nebensatz auf die
mittelalterlichen Kreuzzüge oder dezidiert auf das altfranzösische
«Rolandslied» zu sprechen kommt. Wer da nicht mithalten
kann, muss das Gespräch in eine andere Richtung lenken, und allenfalls
später mittels Google und Wikipedia die Gedächtnis- oder
Wissenslücke schliessen.
«In welchen Kreisen verkehren sie eigentlich,
Herr Schnyder...?»
Als Grenzgänger kommt Daniel Schnyder immer wieder in enge Berührung
mit dem musikalischen Grenzschutz.
Als einer, der in rauchigen Lokalen das Tenorsaxophon bläst,
der gewohnt ist, den Spielbeginn laut vorauszuzählen, der mit
dem Fuss sichtbar den Takt markiert und nach einem Solo lächelnd
den aufbrausenden Applaus verdankt, ein solcher Zeitgenosse wird am
Portal derjenigen Häuser, in denen das Gute, Schöne und
Erhabene zelebriert wird, zunächst einmal gestoppt. Der musikalische
Grenzschutz wird aktiv und stellt einem, der nicht in schwarzer Gewandung
anklopft, der statt einer Geige eine funkelnde Blechröhre in
Händen hält, die ausmusternde Frage: «In
welchen Kreisen verkehren Sie eigentlich?»
Umgekehrt muss Daniel Schnyder, wenn er im Jazzkeller unter seinen
Spielgefährten Vertrauen und Zuneigung gewinnen möchte,
beweisen und beteuern, dass guter Jazz auch dann möglich ist,
wenn man weiss, wie ein Spiegelkanon funktioniert oder der «doppelte
Kontrapunkt» in Bachs «Kunst der Fuge».
So richtig angefangen hat alles im AJZ (im Autonomen Jugendzentrum
Zürich) der frühen 80er-Jahre. Dann kam das Instrumental-
und Kompositionsstudium in Boston und der Flötenunterricht bei
Heinrich Keller in Winterthur.
Bereits weit über 30 Werke, in erster Linie Jazzmusik, umfasst
sein Kompositionsverzeichnis um 1990.
1991 schreibt Schnyder eine Bühnenmusik, eine kühne, oft
geradezu aggressive Musik zu Herbert Meiers «Mythenspiel»
im gigantischen Landschaftstheater von Schwyz.
Er schreibt eine für hiesige Begriffe ungewohnte und ungewöhnliche
Szenenmusik, die dem Publikum kein folkloristisches Entgegenkommen
gewährt.
Die jazzig aufgeraute Musik Schnyders wird dann aber übertönt
vom medialen Lärm und Gemetzel rund um das Jahrhundertspiel von
Herbert Meier.
1992: Daniel Schnyder geht in die USA, nach New York. Das ist tollkühn!
Und warum?
Weil kein New Yorker Jazz-Etablissement und keine Juillard School
ihn dort drüben mit offenen Armen in Empfang nimmt.
Aber er ist geblieben, ansässig geworden: Heirat, Familie, zwei
Töchter, Green Card.
Die Verbindung zur Vaterstadt bleibt weiterhin eng.
Mitte der 90er-Jahre erteilt ihm die Zürcher Tonhalle zum Brahms-Jahr
1997 einen Kompositionsauftrag. Er schreibt eine weitere Sinfonie,
bereits seine dritte, er ist jetzt 35-jährig.
Daniel Schnyder: schwer einzuordnen, zu kompliziert für die Ablage.
Weder ganz E- noch ganz U-Musiker, Cellist, Flötist, Saxophonist
– das entzieht sich der herkömmlichen Registratur.
Der Grenzgänger
Wer Präziseres über Daniel Schnyder wissen will, tippt den
Namen bei Google ein, gleich dutzendfach kann man ihn anklicken und
staunen, wie weit es dieser helvetische Auswanderer im Sturmlauf seiner
inzwischen 47 Lebensjahre gebracht hat: Tourneen mit den Grossen des
Jazz, Aufführungen seiner Kompositionen in Europa, Amerika, Asien
und Australien, Kompositionsaufträge für zahlreiche Musikmetropolen,
Composer in residence, seinerzeit in Australien, derzeit beim Milwaukee
Symphony Orchestra, weit über 30 Werk-Einspielungen auf CDs.
Opernkomponist, Konzertkomponist, Kammerkomponist, Filmkomponist,
unermüdlicher Notenschreiber (alles sauber eingetippt in das
elektronische Notationsprogramm SIBELIUS 5), kluger Theoretiker, gefeierter
Saxophonvirtuose, geschickter Cross-over-Artist, ausgebuffter Organisator,
perfekter Improvisator. Das reicht fürs Erste, es soll ja kein
Nachruf werden.
«Wanderer zwischen den musikalischen Kulturen» nennt man
ihn, und Hymnen schreibt er für eine neue, für seine Generation,
die denkt und sich bewegt in globalen Dimensionen, für eine Generation
der Neugierigen, der Offenen und Unbefangenen, für eine Generation,
die die Musik nicht wegschliesst in kleingekästelte Schubladen
mit der Aufschrift «U» oder «E», «Klassik»
oder «Jazz», «Geistlich» oder «Volkstümlich»
oder «Ethno».
«Meine Musik bewegt sich frei zwischen
den Welten», sagt Schnyder, vorschwebt ihm eine «Verschränkung
der Musiksprachen ohne Berührungsängste». Den
Namen Bach buchstabiert er nach dem Alphabet des Jazz, kreuzt europäische
Rhythmen mit karibischen, verpflanzt symphonischen Klang ins kammermusikalische
Filigran, begreift alte Musik als offene Frage, darauf es Antworten
zu finden gilt. So entstehen die typischen, die lustvollen Schnyder-Dialoge
zwischen dem Damals und dem Heute, zwischen der Alten und der Neuen
Welt.
Wenn man Daniel Schnyder als Saxophonisten erlebt, dann staunt man
nicht wenig über seine arabesk verschnörkelten Tonfolgen/Gesänge,
über die aufreizende Sanglichkeit seiner Melismen, die unbekümmerte
Kreuzung von europäisch-romantischer Klangrede und fremdartig-rhythmischer
Grundierung, seine immer wieder aufscheinenden Gershwin-Erinnerungen,
seine vergnüglichen Spaziergänge durch Bebop-Landschaften.
Man bewundert die Selbstverständlichkeit, mit der er über
interkulturelle Brücken in ein feuchtwarmes Klima eintaucht,
um sich dann wieder bei tiefernsten Arien aus der «Matthäuspassion»
abzukühlen.
Sein «Songbook», das er mit zarten wie mit grellen Farben
tapeziert, kommt daher wie ein liebevoll und hochkompetent auskomponierter,
musikalisch illustrierter Reisebericht, verfasst von einem ruhelosen
Weltenbummler, oder schöner gesagt: von einem globalen Weltenwanderer.
Schnyder sagt: «Als Künstler
muss man reisen. Wer’s nicht tut, der verdorrt oder wird gemütskrank...»
Es ist die Selbstinszenierung eines virtuosen Saxophonisten, der «über
so viele Töne verfügt wie ein Millionär über Münzen»,
heisst es in einem Programmtext, was die NZZ liebevoll-sarkastisch
aufnimmt und betont, dass es sich dabei vorwiegend um Kleingeld handle...
Schnyder hat es von Anfang an unterlassen, von einer kompositorischen
Sackgasse in die nächste zu hüpfen.
Komposition und Improvisation – als Gegensätze sind sie
für ihn ebenso unwichtig wie für Charlie Parker oder Antonio
Vivaldi. Darin haben akademische Theorien keinen Platz, starre Prinzipien
auch nicht, wohl aber die geheimnisvolle Ordnungskraft des tausendmal
erprobten Zufalls.
Schlusswort
Der Theologe Hans Küng schreibt in seinem Buch «Musik und
Religion»:
«Wir sind bedroht von einer umfassenden Sinnkrise, und es wäre
merkwürdig, wenn die Kunst sie nicht reflektierte. Diese Krise
ist eine dreifache: äusserlich eine der Normen, innerlich eine
der Werte und zutiefst die des Sinnes.»
Daniel Schnyder wäre nicht von dieser Welt, wenn er diesen Weltzustand
einfach ignorieren würde. Als hellwacher Zeitgenosse mischt er
sich ein in den Diskurs – nicht indem er in ein allgemeines
Lamento einstimmt, sondern indem er Antworten formuliert, kraftvolle
Antworten voller Zuversicht und ungebrochener Daseinsfreude –
tönende Antworten, die sich im wahrsten Sinn des Wortes hören
lassen dürfen...
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Armin Brunner
Herbst 2008
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