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DAS FRANKFURTER SONOPTIKUM (1990)

DAS ZWEITE FRANKFURTER
SONOPTIKUM (1993)


DER FRANKFURTER GOETHE-
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DIE WOLFSBERG-VARIATIONEN (1995)

FESTAKT 150 JAHRE ETH ZÜRICH

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LAUDATIO FÜR ARVO PÄRT (2005)

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10 JAHRE EUROP. ZENTRALBANK

125 JAHRE SPITAL USTER

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LAUDATIO FÜR DANIEL SCHNYDER

50 JAHRE MZO

GEBURTSTAGSFEIER FÜR MARIA BECKER

MARIA BECKER „DIE SCHWARZE SPINNE“

LAUDATIO FÜR FABIAN MÜLLER

GEORGE GRUNTZ ZUM 80sten

LAUDATIO FÜR URS MEIER

SILSER HESSE-TAGE: KREISLER UND HESSE
LAUDATIO FÜR DANIEL SCHNYDER

THEATER AM NEUMARKT ZÜRICH
MONTAG, 24. NOVEMBER 2008


Motto: «Wir alle tragen Wunden, und Lob ist, wenn nicht heilender, so doch lindernder Balsam für sie.»
Thomas Mann



Sehr geehrter Herr Regierungspräsident,
lieber Daniel Schnyder,
meine sehr verehrten Damen und Herren


Musik und ihre zwillingshafte Verbundenheit mit dem Tanz

Wer in einem klassischen Konzert einen Blick auf das im Saal versammelte Publikum wirft, kommt kaum auf den Gedanken, dass die Musik einmal zusammen mit der Atmung, dem Herzschlag und der körperlichen Bewegung eine unzertrennliche Einheit gebildet haben.

Die äusserliche Gelassenheit während der Musikdarbietung, die Attitüde des von der körperlichen Wirkung der Musik (scheinbar) unbeeinflussten Zuhörers, ist jedoch alles andere als in der Natur des Menschen verankert.

Die ursprünglich enge Verknüpfung von Musik und Bewegung musste erst einmal aufgebrochen werden, und die Musik hatte zu ihrem Zwillingsbruder Tanz auf Distanz zu gehen, bevor sie zu ihrem kühnen Alleingang und Höhenflug abheben konnte.

Der Musiksoziologe Kurt Blaukopf ist davon überzeugt, das «die Körperfeindlichkeit des Christentums die Grundlage für die Autonomisierung des Musikalischen erst geschaffen hat. Das Christentum als die einzige unter den Schriftreligionen, die nie einen kultischen Tanz gekannt hat, war tendenziell tanzfeindlich eingestellt.»

Von den wenigen Ausnahmen gegen diese Praxis soll hier nicht die Rede sein.

Die Entkoppelung des Musikalischen aus einem Komplex, der ursprünglich einmal Sprache, Musik und Bewegung eng umfasste, hat, so darf vermutet werden, den Weg freigemacht für den beispiellosen Höhenweg, den die abendländische Kunstmusik, insbesondere ihre Instrumentalmusik, beschritten hat.

Ihre zwillingshafte Verbundenheit mit dem Tanz, und das heisst: mit körperlicher Bewegung, hat die Musik jedoch nie und zu keiner Zeit gänzlich verleugnet, denn weder in der h-Moll-Messe noch in der Jupiter-Sinfonie oder in Mahlers «Lied von der Erde» sind diese Spuren gänzlich getilgt.

Wie anders kämen denn sonst die 120 Menuette in die ebenso vielen Sinfonien eines Joseph Haydn?

Die europäische Musikgeschichte ist also voll von Beweisstücken der Auflehnung gegen die Entkörperlichung. Als sicht- und hörbare Revolten können die Walzerwut des 19. Jahrhunderts, die Befreiungsbewegung des Dixieland-Jazz nach dem Ersten Weltkrieg oder alle die Rock- und Pop- und sonstigen Events unserer Tage betrachtet werden, deren Musik «in die Beine fährt», und nicht nur dorthin.

Schon im 4. Jahrhundert ist in einer Sentenz von Ephrem dem Syrer etwas von dieser Spannung zu verspüren:
«Singe nicht heute Psalmen mit den Engeln, um morgen wieder mit dem Dämon zu tanzen.»


Armin Brunner, Ensemble
Daniel Schnyder


Musik, die durch etwas hindurchgegangen ist,
und solche, die aus erster, warmer und herzlicher Hand lebt...


Wie aber kommen solche Vorbemerkungen in eine Laudatio für einen Musiker, der weder die «Matthäuspassion» aufführt noch einer Big Band vorsteht?

Ganz einfach deshalb, weil wir einem Komponisten applaudieren wollen, dessen musikalisches Weltbild keine Mühe hat, die Blutsverwandtschaft von Musik und Bewegung, von Klang, Rhythmus und Körperlichkeit zu akzeptieren.

In Daniel Schnyders kompositorischem Schaffen gibt es beides, nämlich «eine Musik, die durch etwas hindurchgegangen ist, und eine solche, die aus erster, warmer und herzlicher Hand lebt» – um es mit Worten von Thomas Mann auszudrücken.

Als globaler Weltenwanderer kommt Daniel Schnyder mit den unterschiedlichsten Musikwelten und Musikszenen in Berührung. Wenn jemand von sich sagen kann, «nichts Musikalisches ist mir fremd», dann wohl Daniel Schnyder.

Als echter Weltbürger ist er sprachgewandt, selbstbewusst und mit der eleganten Sicherheit des Erfolgsverwöhnten ausstaffiert, doch ist auch ein milder Hauch von Misstrauen bei genauerem Hinhorchen festzustellen. Es ist die Abwehr des oft verletzten Künstlers.

Dabei ist Daniel Schnyder nicht auf dem Kartoffelacker der Kultur zur Welt gekommen und dort aufgewachsen, wie so manch einer, mit dem er später in verrauchten Lokalen seine Jazznächte verbrachte.

Seine Herkunft, die Hochkultur seines Elternhauses, hat ihn geprägt. Er hat den Blick des Ethnologen geerbt, der in den Konturen einer Vase eine versunkene Kultur zu erkennen und zu rekonstruieren vermag.

Original-Ton Schnyder:
«Als Kind in einer musikalisch hellwachen Familie habe ich eigentlich nur Cello geschabt und Noten gespielt, aber schon mit 12 Jahren den Jazz als das eigentlich Kreative in der Musik entdeckt. Ein ganz normales Leben in Helvetien, Gymnasium mit A-Matur gemäss Professor Unrat, Griechisch, Lateinisch, nur Buben in der Klasse – Punkt!»

Man muss mit dem griechisch-lateinischen Wortschatz einigermassen vertraut sein, will man mit Daniel Schnyder substantiell über Gott und die Welt, vor allem aber über die Welt und deren Bewohner reden. Dabei kann es vorkommen, dass er in einem Nebensatz auf die mittelalterlichen Kreuzzüge oder dezidiert auf das altfranzösische «Rolandslied» zu sprechen kommt. Wer da nicht mithalten kann, muss das Gespräch in eine andere Richtung lenken, und allenfalls später mittels Google und Wikipedia die Gedächtnis- oder Wissenslücke schliessen.


«In welchen Kreisen verkehren sie eigentlich, Herr Schnyder...?»

Als Grenzgänger kommt Daniel Schnyder immer wieder in enge Berührung mit dem musikalischen Grenzschutz.
Als einer, der in rauchigen Lokalen das Tenorsaxophon bläst, der gewohnt ist, den Spielbeginn laut vorauszuzählen, der mit dem Fuss sichtbar den Takt markiert und nach einem Solo lächelnd den aufbrausenden Applaus verdankt, ein solcher Zeitgenosse wird am Portal derjenigen Häuser, in denen das Gute, Schöne und Erhabene zelebriert wird, zunächst einmal gestoppt. Der musikalische Grenzschutz wird aktiv und stellt einem, der nicht in schwarzer Gewandung anklopft, der statt einer Geige eine funkelnde Blechröhre in Händen hält, die ausmusternde Frage: «In welchen Kreisen verkehren Sie eigentlich?»

Umgekehrt muss Daniel Schnyder, wenn er im Jazzkeller unter seinen Spielgefährten Vertrauen und Zuneigung gewinnen möchte, beweisen und beteuern, dass guter Jazz auch dann möglich ist, wenn man weiss, wie ein Spiegelkanon funktioniert oder der «doppelte Kontrapunkt» in Bachs «Kunst der Fuge».

So richtig angefangen hat alles im AJZ (im Autonomen Jugendzentrum Zürich) der frühen 80er-Jahre. Dann kam das Instrumental- und Kompositionsstudium in Boston und der Flötenunterricht bei Heinrich Keller in Winterthur.
Bereits weit über 30 Werke, in erster Linie Jazzmusik, umfasst sein Kompositionsverzeichnis um 1990.

1991 schreibt Schnyder eine Bühnenmusik, eine kühne, oft geradezu aggressive Musik zu Herbert Meiers «Mythenspiel» im gigantischen Landschaftstheater von Schwyz.
Er schreibt eine für hiesige Begriffe ungewohnte und ungewöhnliche Szenenmusik, die dem Publikum kein folkloristisches Entgegenkommen gewährt.
Die jazzig aufgeraute Musik Schnyders wird dann aber übertönt vom medialen Lärm und Gemetzel rund um das Jahrhundertspiel von Herbert Meier.

1992: Daniel Schnyder geht in die USA, nach New York. Das ist tollkühn! Und warum?
Weil kein New Yorker Jazz-Etablissement und keine Juillard School ihn dort drüben mit offenen Armen in Empfang nimmt.
Aber er ist geblieben, ansässig geworden: Heirat, Familie, zwei Töchter, Green Card.
Die Verbindung zur Vaterstadt bleibt weiterhin eng.
Mitte der 90er-Jahre erteilt ihm die Zürcher Tonhalle zum Brahms-Jahr 1997 einen Kompositionsauftrag. Er schreibt eine weitere Sinfonie, bereits seine dritte, er ist jetzt 35-jährig.

Daniel Schnyder: schwer einzuordnen, zu kompliziert für die Ablage. Weder ganz E- noch ganz U-Musiker, Cellist, Flötist, Saxophonist – das entzieht sich der herkömmlichen Registratur.


Der Grenzgänger

Wer Präziseres über Daniel Schnyder wissen will, tippt den Namen bei Google ein, gleich dutzendfach kann man ihn anklicken und staunen, wie weit es dieser helvetische Auswanderer im Sturmlauf seiner inzwischen 47 Lebensjahre gebracht hat: Tourneen mit den Grossen des Jazz, Aufführungen seiner Kompositionen in Europa, Amerika, Asien und Australien, Kompositionsaufträge für zahlreiche Musikmetropolen, Composer in residence, seinerzeit in Australien, derzeit beim Milwaukee Symphony Orchestra, weit über 30 Werk-Einspielungen auf CDs.

Opernkomponist, Konzertkomponist, Kammerkomponist, Filmkomponist, unermüdlicher Notenschreiber (alles sauber eingetippt in das elektronische Notationsprogramm SIBELIUS 5), kluger Theoretiker, gefeierter Saxophonvirtuose, geschickter Cross-over-Artist, ausgebuffter Organisator, perfekter Improvisator. Das reicht fürs Erste, es soll ja kein Nachruf werden.

«Wanderer zwischen den musikalischen Kulturen» nennt man ihn, und Hymnen schreibt er für eine neue, für seine Generation, die denkt und sich bewegt in globalen Dimensionen, für eine Generation der Neugierigen, der Offenen und Unbefangenen, für eine Generation, die die Musik nicht wegschliesst in kleingekästelte Schubladen mit der Aufschrift «U» oder «E», «Klassik» oder «Jazz», «Geistlich» oder «Volkstümlich» oder «Ethno».

«Meine Musik bewegt sich frei zwischen den Welten», sagt Schnyder, vorschwebt ihm eine «Verschränkung der Musiksprachen ohne Berührungsängste». Den Namen Bach buchstabiert er nach dem Alphabet des Jazz, kreuzt europäische Rhythmen mit karibischen, verpflanzt symphonischen Klang ins kammermusikalische Filigran, begreift alte Musik als offene Frage, darauf es Antworten zu finden gilt. So entstehen die typischen, die lustvollen Schnyder-Dialoge zwischen dem Damals und dem Heute, zwischen der Alten und der Neuen Welt.

Wenn man Daniel Schnyder als Saxophonisten erlebt, dann staunt man nicht wenig über seine arabesk verschnörkelten Tonfolgen/Gesänge, über die aufreizende Sanglichkeit seiner Melismen, die unbekümmerte Kreuzung von europäisch-romantischer Klangrede und fremdartig-rhythmischer Grundierung, seine immer wieder aufscheinenden Gershwin-Erinnerungen, seine vergnüglichen Spaziergänge durch Bebop-Landschaften.

Man bewundert die Selbstverständlichkeit, mit der er über interkulturelle Brücken in ein feuchtwarmes Klima eintaucht, um sich dann wieder bei tiefernsten Arien aus der «Matthäuspassion» abzukühlen.

Sein «Songbook», das er mit zarten wie mit grellen Farben tapeziert, kommt daher wie ein liebevoll und hochkompetent auskomponierter, musikalisch illustrierter Reisebericht, verfasst von einem ruhelosen Weltenbummler, oder schöner gesagt: von einem globalen Weltenwanderer.

Schnyder sagt: «Als Künstler muss man reisen. Wer’s nicht tut, der verdorrt oder wird gemütskrank...»

Es ist die Selbstinszenierung eines virtuosen Saxophonisten, der «über so viele Töne verfügt wie ein Millionär über Münzen», heisst es in einem Programmtext, was die NZZ liebevoll-sarkastisch aufnimmt und betont, dass es sich dabei vorwiegend um Kleingeld handle...

Schnyder hat es von Anfang an unterlassen, von einer kompositorischen Sackgasse in die nächste zu hüpfen.

Komposition und Improvisation – als Gegensätze sind sie für ihn ebenso unwichtig wie für Charlie Parker oder Antonio Vivaldi. Darin haben akademische Theorien keinen Platz, starre Prinzipien auch nicht, wohl aber die geheimnisvolle Ordnungskraft des tausendmal erprobten Zufalls.


Schlusswort
Der Theologe Hans Küng schreibt in seinem Buch «Musik und Religion»:
«Wir sind bedroht von einer umfassenden Sinnkrise, und es wäre merkwürdig, wenn die Kunst sie nicht reflektierte. Diese Krise ist eine dreifache: äusserlich eine der Normen, innerlich eine der Werte und zutiefst die des Sinnes.»

Daniel Schnyder wäre nicht von dieser Welt, wenn er diesen Weltzustand einfach ignorieren würde. Als hellwacher Zeitgenosse mischt er sich ein in den Diskurs – nicht indem er in ein allgemeines Lamento einstimmt, sondern indem er Antworten formuliert, kraftvolle Antworten voller Zuversicht und ungebrochener Daseinsfreude – tönende Antworten, die sich im wahrsten Sinn des Wortes hören lassen dürfen...


Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Armin Brunner
Herbst 2008



 
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