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LAUDATIO FÜR ARVO PÄRT (2005)
PROFESSOR HANS KÜNG 80
10 JAHRE EUROP. ZENTRALBANK
125 JAHRE SPITAL USTER
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LAUDATIO FÜR DANIEL SCHNYDER
50 JAHRE MZO
GEBURTSTAGSFEIER FÜR MARIA BECKER
MARIA BECKER „DIE SCHWARZE SPINNE“
LAUDATIO FÜR FABIAN MÜLLER
GEORGE GRUNTZ ZUM 80sten
LAUDATIO FÜR URS MEIER
SILSER HESSE-TAGE: KREISLER UND HESSE
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ARMIN
BRUNNER
LAUDATIO FÜR ARVO PÄRT
EUROPÄISCHER KIRCHENMUSIK-PREIS 2005
SCHWÄBISCH-GMÜND / HEILIG-KREUZ-MÜNSTER
21. JULI 2005
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
hochverehrter Arvo Pärt,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
Musik sei, so Ernst Bloch, des Menschen «Ruf ins Entbehrte».
Das ist ihre utopische Kraft. Was aber entbehrt, also herbeigesehnt
wird, hängt von den Umständen ab. Der ungleichwertigen Weltordnung
des Absolutismus setzt die Bach-Fuge die Gleichwertigkeit aller Stimmen
entgegen. Im Schiller’schen Aufklärungsprogramm meldet
sich die Beethoven-Sonate mit ihrem musikalischen Diskurs zu Wort.
Bei der psychoanalytischen Suche nach Selbstfindung sind Schumann-Fantasien
und Tschaikowsky-Sinfonien behilflich. Nach dem Zusammenbruch aller
gesellschaftlichen Systeme in einem von zwei grausamen Globalkriegen
zerpflügten Jahrhundert rief die musikalische Kunst herbei, was
entbehrt wurde – neue zuverlässige Ordnungen, dodekaphonische
oder serielle oder algorithmische.
Doch wessen sind wir heute bedürftig? Schwer zu sagen.
Dem Pädagogen Hartmut von Hentig verdanken wir die Bemerkung,
dass noch vor 25 Jahren junge Menschen mehr kritische Distanz und
rationale Entzauberungen benötigt hätten, dass sie heute
indessen liebevoll bergende Behausung, einfache Lebensmuster und schützende
Wärme brauchten.
MUSIK DER STILLE
Musik der Stille, der Gewaltlosigkeit, der Innerlichkeit, Musik der
Versöhnlichkeit und der schönen Augenblicke, Musik ohne
auftrumpfende Allüren, eine Musik jenseits doktrinärer Komplexitäten
... sie wäre an der Zeit. Aber leicht gerät sie in den Verdacht
der gewichts- und bedeutungslosen Leichtigkeit. Was einfach zu sein
scheint, scheint einfach kritisierbar. Hier stößt man schnell
an prinzipielle Grenzen: Ist Musik für den Menschen gemacht,
oder ist der Mensch zu formen nach dem Bilde einer Musik? Damit begebe
ich mich, ich weiss es, auf ein altes Kampfgebiet: Hat als gut zu
gelten, was beliebt und akzeptiert ist, oder sollte sich Musik den
Teufel scheren um Volkes Stimme?
Musik, die eine grosse Zuhörerschaft erreicht und diese nachhaltig
beeindruckt, gerät schnell einmal in den Verruf, kommerzielle
Kompromisse zu schliessen, gewissenlos sich anzubiedern. Seit Fratres
und Tabula Rasa ist die Musik von Arvo Pärt diesem Verdacht ausgesetzt
und solchen Anfeindungen.
Die Musikpsychologie, längst eine respektable Wissenschaft, nimmt
sich des Menschen an, nicht der kompositorischen Systeme. Sie erkundet
Möglichkeiten und Grenzen der Wahrnehmung, sucht nach Antworten
auch auf die offene Frage, warum so hochkomplexe Musik nach den Gesetzestafeln
der musikalischen Avantgarde trotz aufwändigster Bemühungen
nie ins Bewusstsein des allgemeinen Publikums gedrungen ist. Sie forscht
nach Gründen von Akzeptanzen und Verweigerungen, sie beleuchtet
jenen kritischen Punkt, wo der Dialog zwischen Musik und Mensch scheitert,
zwangsweise scheitern muss. Sie stellt einfache Fragen, zum Beispiel
an Jugendliche ... wozu sie Musik gebrauchen, wie sie mit ihr umgehen,
in welcher Weise ihnen Musik ein «Ruf ins Entbehrte» ist.
HÖRERTYPOLOGIEN
In der Studie von Klaus-Ernst Behne aus dem Jahr 1986 mit dem Titel
Hörertypologien - Zur Psychologie des
jugendlichen Musikgeschmacks sind acht exemplarische Umgangsweisen
mit Musik aufgelistet, die ohne allen Zweifel nicht nur für Jugendliche
Geltung haben, sondern auch für den gesellschaftlichen Rest gleich
welchen Alters.
Das sog. Motorische Hören führt
die «Strukturen der acht Hörweisen» an. Eine Wahrnehmungsform,
wo man mitsingt und sich am liebsten immer bewegen möchte, wo
die Signale der Musik auf physiologische Weise verarbeitet werden
im Sinne einer körperlichen Ganzheitlichkeit.
Die zweitwichtigste Wahrnehmungsform ist das Kompensatorische
Hören. Dort bringt die Musik den Rezipienten auf andere
Gedanken, verscheucht dunkle Problemwolken und seelische Einsamkeit,
dort spendet Musik Trost, wie das einst im Finalsatz von Mahlers Neunter
Sinfonie noch erlaubt war.
Es folgt das Vegetative Hören.
Dabei, so berichten die Jugendlichen, kann es sein, dass sie ganz
gefangen seien von Bewegung und Stillstand, ein Kribbeln auf der Haut
fühlten oder zu Tränen sich rühren liessen.
Nachgeordnet das Diffuse Hören.
Es funktioniert z.B. beim Schularbeitenmachen, beim Briefeschreiben,
Tagträumen.
Häufig genannt werden das Emotionale
und das Sentimentale Hören.
Man badet in den Klängen der Musik, bis man in ihnen buchstäblich
versinkt. Oder wird durch Musik an früher erlebte Momente erinnert,
möchte dabei träumen, manchmal sogar weinen.
Diese Hörweise ist verschwistert mit dem Assoziativen
Hören. Hier kommt es zu bildhaften inneren Vorstellungen,
als liefe zeitgleich ein Film ab.
Warum ich von diesen sieben essentiell menschlichen Hörformen
berichte? Weil ich mir eine achte bislang aufgespart habe, das sog.
Distanzierende Hören. Es ist
nach empirischen Befunden die seltenste, die unwichtigste Wahrnehmungsform.
Nur hin und wieder geben Jugendliche kund, dass sie es auch mal interessant
fänden, den Formaufbau eines Stückes, die Themen, Rhythmen
oder Harmonien zu verfolgen und wie der Komponist das Werk gestaltet
habe. Das analytische Interesse aber ist vergleichsweise marginal.
Wichtig scheint Musik für dieses und jenes zu sein, kaum aber
als Medium des geistigen Exerzitiums. Hauptsächlich und vorderhand
will Musik ganzheitlich vernommen, höchst selten und sehr viel
später vielleicht studiert und analysiert werden. Des Hörers
Interesse richtet sich vornehmlich auf die tönende Gestalt und
ihre Klang-«Rede», selten auf ihr Röntgenbild oder
auf die Tabelle mit den Blutwerten.
MUSIK AUF DAS REISSBRETT GESPANNT
Und trotzdem wird, wo immer über Musik gesprochen und geschrieben
wird, ebendiese Musik ausschliesslich analytisch, vornehmlich distanziert
ausgeleuchtet und bewertet. Man spannt Musik aufs Reissbrett und ist
gespannt auf kontrapunktische Texturen, auf motivische Korrespondenzen,
thematische Metamorphosen oder mikrotonale Netzwerke.
Will man so beweisen, dass die Musik – trotz aller Kränklichkeit
– gesund sei? Selbst ein kontrapunktischer Schachspieler namens
Johann Sebastian Bach hatte nichts anderes im Sinn als das Lob Gottes
und die «Recreation des Gemüths» von Menschen, er
hätte nichts dagegen gehabt, ein sechsstimmiges Ricercar «vegetativ»
oder «emotional» zu vernehmen gleich einem rätselhaft
tönenden Kosmos. Mag sein, dass der erste Satz aus Bartóks
Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug
und Celesta eine komplizierte Fächerfuge im Spannungsraum
eines Tritonus ist, zuallererst aber weckt sie Assoziationen von Dunkelheit
und Licht, von Qual und Erlösung und strahlender Zielfindung.
Die Struktur ist Bartóks Privatsache. So gut hat er sie versteckt,
dass ein Hörer in den Klangstrom – sei es «vegetativ»,
sei es «kompensatorisch» – ohne weiteres eintauchen
kann.
Mag sein, dass dem zweiten Satz von Tabula
Rasa hochkomplexe algorithmische Strukturen zugrunde liegen.
Was wir z.B. in Silentium vernehmen,
ist nur jener Teil eines grossräumigen und weitgeschwungenen
Kurvenverlaufs, der in die Atmosphäre unserer akustisch-instrumentalen
Wirklichkeit eintritt. Erkennbar und spürbar ist jedoch, dass
sich die langgezogenen und riesigen Bögen im Unsichtbaren, d.h.
im Unhörbaren zu vollenden scheinen. Will sagen: Auch die Musik
von Arvo Pärt kann man aufs Reissbrett spannen – dabei
hat sie nichts zu befürchten und nichts zu verbergen. Mehr noch:
Dass sich in Arvo Pärts Rationalität und Spiritualität
Parallelen zum Denken und Schaffen von Anton Webern nachweisen lassen,
offenbart sich der analytischen Betrachtung, ich nehme es mit aller
Offenheit und mit Bewunderung zur Kenntnis.
Trotzdem erreicht Pärts Musik ein Publikum, sei es in der Kirche,
sei es im Konzertsaal oder in den eigenen vier Wänden. Sie erreicht
viele Menschen ohne Umweg über musikologische Analyse. Pärts
sparsame Kommentare zu seinen Werken verzichten auf Schwulst und Dogmatik,
es braucht keine Entschuldigung für Dur- und Moll-Akkorde ...
auch Mozart wäre kaum auf den absurden Gedanken verfallen, um
Nachsicht zu bitten für seine zahllosen Alberti-Bässe.
EINE KOSTBARE TUGEND
Mit Arvo Pärt kommt ein Begriff in die Welt zurück, der
scheinbar für immer verloren schien: Demut. Demut vor dem Einzelton.
Demut vor dem Dreiklang. Demut vor der Geradlinigkeit. Demut vor den
Grenzen einer menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit. Seit Nietzsches
Verdikt, Demut gehöre «zu den verleumderischen Idealen,
hinter denen sich Feigheit und Schwäche verstecken ...»,
seit diesem Bannfluch ist es merkwürdig still geworden um die
kostbare Tugend.
Ersinnt also heute jemand Musik, die den Mut zu provokativer Einfachheit
aufbringt, eine Musik, der es auf Vernehmbarkeit, auf Versöhnlichkeit
ankommt, so wäre die Empörung über angebliche Simplizität,
über gefälligen Populismus durch und durch inhuman.
«Es genügt, einen Ton schön
zu spielen.» Diese Bemerkung von Arvo Pärt ist oft zitiert
worden, man kann sie gegen ihn verwenden. Oder für ihn. Denn
wer dächte beim Hören von Arvo Pärts Musik nicht unwillkürlich
an Schönheit? «Die Wahrheit der Kunst ist ihre Schönheit»,
soll Thomas Mann irgendwo geschrieben haben. Auch sollten wir nicht
vergessen, dass Schönheit ohne grosse Anstrengung nie gelingt.
Die gegenwärtig unverkennbare «Wiederkehr des Schönen»
in Gesellschaft und Kunst begreife ich als eine Art Gegengewicht zum
aktuellen Terror, der aus allen Medienkanälen rinnt im Stundentakt.
Als Mittel, sich mit einer Welt zu versöhnen, die je globaler,
desto unversöhnlicher sich darstellt. Das «Schöne»
als längst fällige Wiedergutmachung daran, was die Gewalt
im 20. Jahrhundert zerbombte. Als Widerspruch gegen die Proklamation
des amerikanischen Malers Barnett Newman im Jahr 1948: «Der
Impuls moderner Kunst ist der Wunsch, Schönheit zu zerstören.»
Damals war das wohl richtig, weil notwendig. Heute müssen andere
Nöte gewendet werden.
Der Geist weht, wo er will, vor allem in der Musik. Noch immer gilt
Eduard Hanslicks Einsicht, ihre Geistigkeit sei gestaltbar aus geistfähigem
Material. Doch sollte er dem Menschen nicht kalt ins Gesicht wehen.
Das hat selbst die streng regulierte Musik eines Johannes Brahms nie
getan, im Gegenteil. Dabei darf man durchaus in Rechnung stellen,
dass es dann und wann ein Bedürfnis gibt nach gelungenen mathematischen
Beweisen oder raffinierten Glasperlenspielen. Andererseits aber warten
fundamentale Bedürftigkeiten (nicht nur bei Jugendlichen) dringend
darauf, dass man sie ernst nimmt ... Bedürftigkeiten nach Trost
und Zuspruch, Geheimnis und Abenteuer, nach Deutung und Verzauberung,
Konflikt und Frieden.
NOBLE SCHÖNHEIT
Damit meine ich nicht jene Gemütlichkeit eines Musikantenstadls.
Ich meine die feine Verletzlichkeit der Musik von Arvo Pärt,
welche störend, verstörend sich einmischt, ohne zu verletzen.
Ich meine ihre Ernsthaftigkeit, die auf eine Attitüde überheblicher
Arroganz verzichtet. Die noble Schönheit dieser Musik, die es
sich nicht billig macht und ihre Botschaft leise und duldsam verkündet.
Eine Musik, die den Mut zu provokativer Einfachheit aufbringt, eine
Musik, die nicht nach Akzeptanzen schielt, aber das Akzeptiertwerden
lächelnd hinnimmt, indem sie menschliches Hören wieder erlaubt
... motorisch, kompensatorisch, vegetativ, diffus, emotional, sentimental,
assoziativ, gleichviel ...
Vor bald zehn Jahren habe ich in einer Schrift über Arvo Pärt
gesagt: «Unbeirrt von Modeströmungen und mit bewundernswertem
Mut hat Arvo Pärt die Grenzüberschreitung, den Weg in die
selbstgewählte ‹arte povera› vollzogen. Er hat hinter
dem ein Jahrhundert lang als abgeklappertes Tonsystem verteufelten
Dur-Moll-Prinzip eine verloren geglaubte Lebenskraft und Intensität
entdeckt.» Dem stimmt Wolfgang Sandner zu: «Durch seine
Werke, die sich alter Kompositionspraktiken bedienen, ohne sie zu
restaurieren, wird sozusagen Luft von andern Planeten, die man schon
für erloschen hielt, in die moderne Klangwelt geblasen.»
Dafür haben wir Ihnen, hochgeschätzter, lieber Arvo Pärt,
zu danken ... zu danken aus vollem Herzen.
Armin Brunner (2005)
PRESSEREAKTIONEN AUF DIE LAUDATIO FÜR
ARVO PÄRT
Südwest Presse Ulm (23. Juli
2005)
Pärts eigene, unverkennbare Musik hat
der Lobredner Dr. Armin Brunner aus der Schweiz, als Theoretiker und
Praktiker gleichermassen von Rang, so beschrieben: «Musik der
Stille, der Gewaltlosigkeit, der Innerlichkeit, eine Musik ohne auftrumpfende
Allüren, eine Musik jenseits doktrinärer Komplexitäten
...».
Rems- Zeitung Schwäbisch Gmünd
(23. Juli 2005)
Nicht nur Arvo Pärt, auch der Laudator
, Armin Brunner, gehören zu den führenden Musikerpersönlichkeiten
unserer Zeit wie die Ausführenden der Pärtschen Passio ...
... die Laudatio umriss nicht nur Leben und Werk des Meisters ,sie
charakterisierte Bemerkenswertes und Notwendiges bezüglich der
Kriterien zeitgemässen Schaffens und Hörens. Armin Brunner,
selbst brillanter Kenner und Förderer zeitgenössischer Musik,
hatte dennoch den Mut, die Avantgarde kritisch zu würdigen und
Pärt in Schutz zu nehmen vor unangemessener Kritik. ... |
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