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LAUDATIO FÜR FABIAN MÜLLER

GEORGE GRUNTZ ZUM 80sten

LAUDATIO FÜR URS MEIER

SILSER HESSE-TAGE: KREISLER UND HESSE
LAUDATIO FÜR FABIAN MÜLLER
ZOLLIKON 3. JUNI 2012



Sehr verehrte Frau Gemeindepräsidentin Kull
lieber Fabian Müller,
sehr verehrte Damen und Herren


Peter Bichsel hat einmal gesagt: „Musik schlägt einem die Worte aus der Hand ... Musik macht sprachlos ... „
Wahrlich keine günstige Voraussetzung für eine Laudatio auf einen Musiker, dessen Schaffen allenthalben grosse Anerkennung und respektvolle Zustimmung geniesst und dessen Werke mit Erfolg in aller Welt gespielt werden; der aber auch mit seinen Pionierleistungen im Bereich der Schweizer Volksmusik ungeteilten Beifall gefunden hat.

Auf seine vielbeachteten Bemühungen um den authentischen Klang unserer Volksmusik werde ich im zweiten Teil dieser Würdigung eingehen.

Wenn uns also Musik tatsächlich sprachlos macht, was ist dann zu tun, um nicht mit leeren Händen dazustehen? Vielleicht wäre es klüger, statt über seine Kompositionen zu reden, den offenkundigen Qualitäten von Fabian Müllers Musik nachzuspüren.

Doch einen verlässlichen Beweis für musikalische Qualität gibt es nicht.
Der künstlerische Wert eines musikalischen Werkes kann nicht bewiesen werden. .
Jeder Analytiker riskiert, dass ihm das Werk im Verlauf seiner Untersuchung wie ein Fisch aus der Hand springt.

Begeben wir uns also auf Sumpfgebiet, wenn wir über Musik und ihre Komponisten reden?

Ja und nein.

JA – wenn wir versuchen, der Musik mit wohlgeformten und effektvoll gedrechselten Sätzen auf den Leib zu rücken

NEIN - wenn wir uns mit der Wirkung von Musik beschäftigen, denn:
„Musik ist im Unterschied zu sprachlichen Gebilden auch wirksam, ohne dass man sie versteht“. (Dahlhaus)

Aber was heisst das?
Ein Beispiel.

Im apokalyptischen Filmepos „Melancholia“ von Lars v. Trier ertrinkt der Kinobesucher buchstäblich in den betörenden Klangwogen von Wagners Tristan-Vorspiel, er wird quasi imprägniert mit tönendem Weltuntergang, dem er sich nur schwerlich entziehen kann.
Für die Wirkung dieser todessehsüchtigen Musik jedoch ist es unerheblich, zu wissen, welche Bedeutung Wagners Tristan-Musik innerhalb der Musikgeschichte zukommt.

Was uns also bleibt, ist die behutsame Annäherung an das Schaffen eines Musikers, dessen Vielfalt und Reichtum uns staunen macht.
Denn: Ernsthaftes Komponieren verlangt Mut und eine gehörige Dosis Selbstvertrauen.

Komponieren wie es Fabian Müller versteht, heisst leben und schaffen jenseits des industriell verfestigten Massengeschmacks, heisst über den Noten brüten, ohne sich dabei von dem gewaltigen Erbe der Vergangenheit bedrücken oder entmutigen zu lassen.

Doch – so darf man sich fragen - wo ist nach all den Höhenflügen der abendländischen Musik noch Raum für das immer wieder geforderte Neue, Unverwechselbare, Eigenständige, das Noch-Nie-Dagewesene?

Wer sich genügend Zeit nimmt, wer genau hinhört, wer bei einem Kammermusiksatz von Fabian Müller aufmerksam mitgeht, vernimmt Erstaunliches und er bekommt auch Antworten auf die eben gestellte Frage nach dem künstlerischen Unikat.

Was genau ist ein Unikat?

Iso Camartin bringt es präzis auf den Punkt, wenn er sagt:
„Talent, Phantasie, Erfindungskraft - das ist die Nagelprobe, die es als Künstler zu bestehen gilt. Gut nachahmen und geschickt kopieren genügt nicht. Nicht einmal intelligent stehlen reicht hin. Was man vom Künstler verlangt, ist nicht die Verdoppelung des Vorhandenen, sondern die Geburt des bisher Ausgebliebenen. Schüler kopieren, Meister transformieren. So hat man es noch nie gesehen, nie gehört: Das ist ein verlässliches Indiz für künstlerische Potenz. Keine Kunst ist denkbar, ohne dass sie begleitet wäre von einem Aufblitzen des Andersartigen, der Alternative zum bereits Bekannten, und bestehe diese Andersheit auch nur in der kleinen, aber letztlich alles verändernden Nuance.“

Als Fabian Müller anfing zu komponieren, war allmählich klar geworden, dass sich Schönbergs Verheissung vom „Hundertjährigen Reich der 12-tönigen Atonalität“ nicht erfüllen wird. .

Dadurch kam der junge Musiker nie in die Versuchung, mittels schroffer und schwer zugänglicher Klangeruptionen und einer bizarren Stacheldraht-Melodik einer hauchdünnen Kennerschaft gefallen zu wollen.

Die Zustimmung zum „unwiderruflichen Sturz der Tonalität“ und das „Dreiklangverbot“ hat Fabian nicht unterzeichnet. Zu sehr ist ihm die ungeheure Leucht- uns Lebenskraft der Tonalität bewusst und vertraut.

Und die 20 Jahre Musikethnologie sind an ihm nicht spurlos vorübergegangen.

Vergessen wir nicht:
Als Fabian Müller mit dem Notenscheiben begann, war es noch schick, Sätze aus Adornos „Dissonanzen“ zu zelebrieren, Sätze, wie etwas den folgenden:

„Wer sich heute noch an den schönen Stellen eines Schubertquartetts oder gar an der provokant gesunden Kost eines Händelschen Concerto grosso labt, rangiert als vermeintlicher Bewahrer der Kultur unter den Schmetterlingssammlern.“
Mein Gott, wer möchte da nicht Schmetterlingssammler sein!


„Die Gnade des Innigen“
Wer Fabians Musik mit gespannter Aufmerksamkeit zuhört, wird immer wieder einen Ton vernehmen, der für lange Zeit verschwunden war.
Mit ihm kommt ein Klang in die Musik zurück, den man längst vergessen hatte, weil er nirgends mehr auftauchte: ich meine den „Klang der Innigkeit“ – oder wie Emil Staiger es nennen würde: “Die Gnade des Innigen“.

Innigkeit – ein Wort, das den Souffleuren des Zeitgeistes kaum über die Lippen kommt.
Doch mit Innigkeit verstehe ich nicht den Rückzug in bemooste Grotten, in efeuumrankte Gartenlauben mit possierlichen Gartenzwergen.

Es geht nicht um eine „Neue Niedlichkeit“ – denn Fabian versendet keine „Ansichtskarten der Vergangenheit“.
Sein musikalischer Horizont endet nicht am Jura-Nordfuss und auch nicht im Calancatal.
Er schöpft aus stromstarken Quellen und diese Quellen finden sich überall, wo Gesteins -und Erdschichten den Sprudel gefiltert haben.

Manchmal vermeint man einen Hauch von Schoeck (Othmar Schoeck) zu vernehmen in den lyrischen und so fein gewobenen Kammermusiksätzen von Fabian Müller.
Hört man sich in seine Streicherwerke hinein, dann möchte man von
Herz-Kammer-Musik sprechen.

Mir scheint, als wolle Fabian das Melos aus seinem hundertjährigen Dornröschenschlaf wachküssen.

Zitat Fabian Müller:
“Musik sollte einfach sein, direkt verständlich und doch ein unergründliches Mysterium bleiben – und nicht komplex und unverständlich.“

Auffallend ist die kompositorische Ungebundenheit im Werk von Fabian Müllers. Da wird keiner Glaubensrichtung, wird keinem überlieferten Kanon gehuldigt. Er nimmt sich die Freiheit, aus dem unermesslichen Arsenal des musikalisch Verfügbaren das auszuwählen, was er für widerstandsfähig ansieht oder, prosaischer ausgedrückt,
was für ihn brauchbar ist.

Zwar kennt er sie alle, die 12-Ton-Methoden und seriellen Techniken, das gesamte Regelwerk des tonalen und atonalen Kontrapunkts.
Er ist auch in der Lage, einer vertrauten Volksweise einen gutsitzenden Alberti-Bass zu verpassen – aber er schreibt seine Musik grundsätzlich selber und überlässt sich nicht einfach einer Methode, einer bequemen Kompositions-Technik, die ihm die kreativen Sorgen und Nöte abnimmt und ihn auch dann komponieren lässt, wenn ihm nichts einfällt.

Hätte der Begriff „Eklektizismus“ nicht einen etwas beschädigten Ruf, könnte man diese, wenn auch mit Vorsicht, bei Fabians Musik anwenden.
Und warum?

Weil er das Wechselspiel, den spielerischen Dialog mit der Tradition und dem Ungewohnten virtuos beherrscht.

„Eklektik“ beim Wort genommen heisst: auswählen und nicht etwa „kopieren“ oder „abkupfern“

„Mein Komponieren gleicht einer Entdeckungsreise, es verbindet den spielerischen Umgang mit der Tradition mit Überraschendem und Unvorhergesehenem.
Dabei fühle ich mich keiner Schule und keinen Glaubenssätzen verpflichtet.“
(Fabian Müller)

Fabian Müller schreibt eine von seiner Wesensart diktierten und von ihr imprägnierten Musik und keine tönenden Markenartikel aus dem immer gleichen Rohstoff. Seine Musik entzieht sich mit Eleganz der bequemen Etikettierung.

Völlig falsch wäre aber zu sagen, Fabian Müller schreibe seine Musik „aus dem Bauch heraus“. Ich halte es für ausgeschlossen, ein Orchesterstück aus dem Bauch heraus auf Notenpapier zu bringen.

Wenn ich die Einschätzung, aber auch die Selbsteinschätzung gewisser Künstler höre, sie seinen unbequem, anspruchsvoll, frech, beleidigend, luxusliebend und nicht in der Lage, Rechnungen zu bezahlen ... so stelle ich ernüchtert und zugleich erleichtert fest, dass die meisten dieser Eigenschaften nicht zum Wesen und dem Charakter unseres Preisträgers passen, dass ich aber dennoch behaupten möchte, dass er trotz alledem als ein in jeder Hinsicht vollwertiger Künstler angesehen werden darf.


SZENENWECHSEL

FABIAN MÜLLER UND DIE SCHWEIZER VOLKSMUSIK
„Kardinal Borromeo“, so wird überliefert, „hat sich im 16. Jahrhundert nach seiner Reise durch die Schweiz darüber beklagt, dass die Eidgenossen keine Volkslieder kennen, und das hätte zur Folge, dass sie, wenn sie betrunken in der Kneipe sitzen, die gregorianische Messe singen. Für Borromeo war das reine Blasphemie.“

Dafür, dass sich eine solche Gotteslästerung in unserer Zeit nicht wiederholt, sorgt und garantiert Fabian Müller – und zwar zuvorderst an der Klangfront der aktuellen Schweizer Volksmusikszene.

Man muss wissen, dass die hiesige Volksmusik seit einiger Zeit ganz schön in Fahrt gekommen ist, und einer, der entscheidend und vor allem tatkräftig dazu beigetragen hat, heisst eben: Fabian Müller.

Bis vor nicht allzu langer Zeit war Volksmusik, volkstümliche Musik, gleichbedeutend mit herausgeputzten und zurechtgeschmirgelten Heimatklängen, die sich in eine Hermetik hineinmanipuliert hat.
Der unreflektierte Dreiklang „Jodel, Ländlermusik und Alphorn“, versehen mit der Armbrust, war und ist noch immer ein beliebter Exportartikel, an dessen Rendite sich Fabian Müller nicht beteiligt.
Denn diese Art der Volksmusik-Pflege ist weitgehend immun gegen Veränderung und Wandel.

Anders hingegen Fabian Müller, der massgebende Vordenker und Erneuerer der Schweizer Volksmusik:
Mit einer Pionierleistung sondergleichen hat er in den letzten zwei Jahrzehnten die Volksmusik der Schweiz verändert – vorab mit der Jahrhundert-Edition der legendären Hanny Christen-Sammlung, der inzwischen wichtigsten Quelle der gegenwärtigen Volksmusik-Szene.

Allein die Aufzählung von Namen, Titeln und Stichworten ist imponierend – dahinter aber stehen Jahre einer leidenschaftlichen Hingabe an die selbstgewählte Aufgabe:
11 Bände mit 12 000 Tänzen umfasst die Anthologie, an welcher Fabian Müller während 10 Jahren gearbeitet hat - ehrenamtlich nebenbei gesagt - und damit eine neue Ära der Volksmusik der Schweiz einleitete und begründete.

Das ist Schwerarbeit auf dem Kartoffelacker der Kultur.

Fabian Müller huscht gerne unter den Schlagbäumen der streng bewachten E-Musik-Grenze hindurch und er ist sich nicht zu gut, bei den Auftritten seiner Helvetic Fiddlers einen Abend lang auf der Bratsche nachschlagende Viertelnoten beizusteuern.

Fabian liebt es, einen undogmatischen Umgang mit dem authentischen Klang der Volksmusik zu pflegen, auf verschiedenste Einflüsse spontan und kritisch zu reagieren, ohne die eigenen fundierten Kenntnisse zu verleugnen.

Es ist naheliegend, dass man dabei an die beiden ungarischen Musiker Kodaly und Bartok erinnert wird, die vor bald 100 Jahren die Volksmusik Ungarns und der slawischen Völker systematisch zu erforschen und aufzuzeichnen begannen.

Mit seinem Bemühen um die Volksmusik verkehrt Fabian Müller in allerersten Kreisen.



EPILOG
Fabian Müller ist Zürcher – und auf erfolgreiche Zürcher sind wir stolz. Wie wir auch stolz sind auf den See, die Berge, den Grünen Hügel in der Enge, ohne uns ernstlich zu fragen, was wir denn dazu eigentlich beigetragen haben.

Was uns ansteht und angeht, ist das Erkennen und Anerkennen.
Das Erkennen einer Botschaft mitten im infernalischen Getöse des medialen Alltags, das Erkennen von Tönen, die sich nicht bewerten lassen mit der Messlatte von lauter, höher und schriller.

Denn das Anerkennen gehört zu den Wohltaten, die die Gesellschaft einem Künstler bereithält.

Ich erinnere mich an eine Äusserung von Emil Staiger – auch er ein Züricher – der vor 60 Jahren sagte:
„Alles Lebendige ist unendlich und jeder Einzelne leistet nur einen Betrag zur Erkenntnis des Ganzen.“

Und dieser eine Beitrag ist bei Fabian Müller alles andere als leichtgewichtig.
Ich danke Ihnen.

Armin Brunner Zollikon, 3. Juni 2012



 
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