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Interviews
KREATIVITÄT IST EIN GESCHENK
von Dominique Bühler, Zolliker Bote, 20159
PHÖNIXGLEICHES WESEN
Interview in «Musik&Theater», Sept. '08
INTERVIEW
mit Rolf Urs Ringger
ZUSTIMMUNG UND KRITIK
Zum Goethe-Geburtstag
(Frankfurt a.M., 28. August 1999)
WIDERSPRUCH UND ZUSPRUCH
Dietrich Schwarzkopf
WO BIST DU GELANDET?
Von Jürg Acklin (1993)
ARMIN BRUNNER, DER AUSSENSEITER
Roland Zag (München, 1998)
DAS SOFA IM PARK
Curt Truninger (1990)
TRADITION UND NEULAND
Interview mit Andrea Meuli (Musik&Theater)
IM INNERN DES KUNSTWERKS
Von Peter Schwaar (1995)
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ZUSTIMMUNG
UND KRITIK
Zum Goethe-Geburtstag 28. August 1999 Frankfurt a.M.
IM GLASHAUS STEINE SCHMEISSEN UND ÜBER DIE SCHERBEN NACHDENKEN
Armin Brunner, der Erneuerer der Fernsehästhetik,
soll Frankfurt in den Goethe-Taumel stürzen
von Sigfried Schibli (Frankfurter Allgemeine
vom 12. Juli 1999)
Es gibt Worte, die wie
Stacheln im Geiste sitzen. „Musik im Fernsehen ist Brimborium“,
diese Interview-Äusserung Theodor W. Adornos ist ein solches
Wort. Armin Brunner ist als langjähriger Musikchef des Deutschschweizer
Fernsehens immer wieder auf die Radikalkritik angesprochen worden;
vielleicht, weil manche Gesprächspartner in seinen Äusserungen
viel „Frankfurter Schule“ entdeckten.
Dass der Einsatz der Musik im Bildermedium Fernsehen in den allermeisten
Fällen nichts als fauler Zauber ist, würde Armin Brunner
wohl kaum ernstlich bestreiten. Doch war ihm die offensichtliche
Animosität, die zwischen dem Medium und der Musik besteht,
ein Ansporn, die Belastungsprobe zu wagen: Wieviel musikalische
Intelligenz hält ein Fernsehsender aus? Mit seinem „Hausregisseur“
Adrian Marthaler hat Brunner über fünfzig Musikfilme fürs
Fernsehen produziert, die höchste Lorbeeren einheimsten. Es
sind überwiegend „narrative“ Musikverfilmungen,
die einem Musikstück eine bildliche Story beigesellen –
ein Verfahren, das nur scheinbar musikfeindlich ist: Wahrnehmungspsychologen
behaupteten, dass die Aufmerksamkeit eines Rezipienten für
die Musik durch ein gleichzeitiges anderes Medium eher erhöht
als verringert wird.
MAHLERS SECHSTE
Die öffentliche Aufführung und Ausstrahlung von Marthalers
Verfilmung der sechsten Symphonie von Gustav Mahler markierte den
Höhepunkt in der Fernsehkarriere des Animators und Organisators
Armin Brunner. Es war die grösste, langwierigste und teuerste
Musikproduktion des Schweizer Fernsehens überhaupt; dass Brunner
ausgerechnet mir ihr seinen Abschied nahm, ist symptomatisch. Denn
es ist kein Geheimnis, dass derartige Produktionen, die schon aufgrund
der anspruchsvollen Musik kein Massenpublikum erreichen, im Fernsehen
der Zukunft nicht mehr möglich sein werden.
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Mahlers Sechste
„Das Lied von der Vergänglichkeit“ |
In den „Musikalischen Meditationen“ des Schweizer Fernsehens
und in seinen eigenen Stummfilm-Musikbearbeitungen ist Brunner, einst
Assistent von Hans Rosbaud am Zürcher Opernhaus, auch als Dirigent
hervorgetreten. Schon während seines Studiums gründete er
die „Neue Zürcher Kammeroper“ und dokumentierte damit
früh sein Interesse an multimedialen künstlerischen Formen.
Dem etablierten Musikbetrieb mit seinem Hang zum Zelebrieren des immer
Gleichen hat er sich freilich nie verschrieben. Brunner entwickelte
eine klare Gegenposition zum stereotypen Ablauf des Konzertlebens
und profilierte sich in Rede und Schrift als scharfer Kritiker fast
der gesamten E-Musik-Szene. Dabei trafen seine rhetorisch brillanten
Invektiven ebenso Rituale des Abonnementskonzerts wie das Spezialistentum
der Alten Musik und den missionarischen Eifer der Avantgarde-Szene.
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Mahlers Sechste
„Das Lied von der Vergänglichkeit“ |
DIE TEMPEL DER HOCHKULTUR
Mit einer Radikalität, der bisweilen etwas Moralistisches anhaftet,
geisselt Brunner die „Tempel der Hochkultur“ und die
längst profanierten „Hochämter“ der klassischen
Konzerte – die Kirche allerdings habe sich für die Vermittlung
ihrer Botschaften weit phantasievollere Formen einfallen lassen
als der Musikbetrieb. Phonoindustrie und einer mit ihr verbandelten
Musikkritik wirft er vor, das „perfekte Funktionieren“
der Interpreten zum obersten Prinzip gemacht und damit zum Verschwinden
des künstlerisch Riskanten in den Konzertsälen beigetragen
zu haben. Die Avantgarde belächelt er als sektiererisch; nur
den estnischen Komponisten Arvo Pärt lässt er unter den
zeitgenössischen Tonkünstlern gelten – ausgerechnet
ihn, der von der progressiven Musikkritik aufgrund seiner neorenaissancehaften
Werke vielfach mit besserwisserischem Argwohn betrachtet wird.
Allerdings ist Brunner auch das akademische Sektierertum der Alte-Musik-Zunft
ein Greuel.
„An jeder Ecke sind sie anzutreffen, die Aufpasser und Alleswisser,
die wissen, wie es richtig ist und wie zur Geburtsstunde diese oder
jene Musik geklungen hat. Experten können sich aber nur mit
dem Vergangenen, das heisst mit dem Vorhandenen beschäftigen.
Es gibt keine Experten für das Unbekannte, Unerforschte, Unerprobte“,
sagt Brunner. Mit Adorno beklagt er, dass sich die Meisterwerke
in diesem Betrieb gegenseitig nivellierten und dass das menschliche
Wahrnehmungsvermögen durch den dauernden Konsum von Meisterwerken
abgestumpft werde. Als Gegenmittel rät er zur Durchmischung
der Programme auch mit zweitrangiger und volkstümlicher Musik
und zum dosierten Umgang mit Musik überhaupt. Geistige Auseinandersetzung
sei nur möglich, wen n man sich der Musik mit einem gewissen
„Hungergefühl“ nähere. Auch darin zeigt sich
eine Neigung des Brunnerschen Musikdenkens zur Verzichtsethik.
HANG ZUM ASKETISCHEN
Es mutet paradox an, dass ausgerechnet ein Fernsehmann wie Armin
Brunner eine zum Asketischen tendierende Haltung einnimmt. Doch
hat dieses Paradox durchaus seine Logik. Zum einen hat Brunner in
der Fernsehanstalt ein realistisches Arbeitsumfeld gefunden in dem
er sich gewissermassen eine oppositionelle Nische einrichten und
seinen Widerspruchsgeist immer wieder schärfen konnte. Zum
andern aber hat er innerhalb und ausserhalb des Senders seit Jahren
Erfahrungen im Organisieren „alternativer“ Musikpräsentationen
gesammelt und damit erfolgreich den Verdacht aus der Welt geschafft,
er sei bloss passiver Kritiker alles Bestehenden.
In Deutschland machte sich Brunner, Ehrendoktor der Universität
Osnabrück, einen Namen als geistiger Kopf des Frankfurter „Sonoptikums“;
in der Schweiz wirkte und wirkt er unter anderem als Programmgestalter
der SKA-Rendez-vous-Konzerte und der UBS-Arenakonzerte, in denen
jeweils ausgewählte Musikwerke eines eng begrenzten Zeitraums
erklingen – quer durch den Gemüsegarten, unter Berücksichtigung
der jeweiligen Volks- und Unterhaltungsmusik. Ein Konzept, das Brunners
Auffassung vom Zeitspiegel-Charakter der Musik entgegenkommt und
gewiss nicht im Verdacht steht, stereotype Konzertrituale zu verewigen.
GOETHE UND FRANKFURT
Brunner hat von der Stadt Frankfurt den Auftrag angenommen, zu Goethes
250. Geburtstag am 28. August 1999 das Projekt „Goethe lebt.
Eine Inszenierung zwischen Dichtung und Wahrheit“ zu konzipieren.
Wie er dem enormen Erwartungsdruck auf diesem Gedenktag genügen
will, wie er es vermeiden will, Goethe zu banalisieren, ihn didaktisch
zurechtzustutzen und gefällig zu machen, wird sich am Geburtstag
selbst zeigen. Sicher ist, dass in der Frankfurter Innenstadt, auch
in der Alten Oper, Szenen aus Leben und Werk des Dichters aufgeführt
werden. Dazu kommen Lesungen, Konzerte und Filmvorführungen.
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J.W. Goethe „Der
Zauberlehrling“ vor der Alten Oper Frankfurt |
Kaleidoskopartig soll das Fest zwischen Vorstellung, Ausstellung
und Darstellung wechseln; Grundidee ist, dass der Dichter selbst
von andern Künstlern beschenkt wird. Auf verschiedenen Bühnen
sollen kurze Szenen aufgeführt und in regelmässigen Abständen
auf Wunsch des Publikums wiederholt werden. In einem Wachsfigurenkabinett
werden Goethes bekannteste Theaterfiguren von Mephisto bis Iphigenie
ausgestellt; auf einer Bierkutsche wird die Szene „Der getreue
Eckhart“ durch die Stadt gekarrt. Neben dieser „volkstümlichen“
Inszenierung sprechen in der Alten Oper Schauspieler und Schriftsteller
Texte von Goethe. In der Paulskirche erhält Siegfried Lenz
den Frankfurter Goethepreis, mit der Laudatio von Marcel Reich-Ranicki.
Musik aus Goethes 77. Lebensjahr mit der Jungen Deutschen Philharmonie
und dem Nomos-Quartett beschliessen das Geburtstagsfest.
WOLFSBERG-VARIATIONEN
Gleichsam als Vorübung zum Goethe-Fest hat Brunner nach seinen
„Sonoptikum“-Experimenten eine multimediale Collage
ersonnen, die unter dem Titel „Wolfsberg-Variationen“
ein der Schweizer Bank UBS gehörendes Schlösschen über
dem Bodensee mit Klängen, Bildern und Parolen erfüllte.
Die Satire kam dabei nicht zu kurz. In einem Wachsfigurenkabinett
stellte Brunner „Prototypen unserer Gesellschaft“ vor,
unter denen sich neben saturierten Persönlichkeiten aus dem
Musikbusiness auch ein Schubertscher Leiermann befand. Ein „Klavier-Tiger“
(der virtuose Pianist Konstantin Scherbakow) nahm zum Finale aus
Prokofjews siebenter Sonate und Webers „Perpetuum mobile“
das moderne Sponsoring wie die zum Sport tendierende Geschwindigkeitsmanie
auf die Schippe.
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Schloss Wolfsberg,
Ermatingen TG |
Brunner geizte nicht mit satirischen Aperçus gegen das
privatwirtschaftliche Kultursponsoring und liess etwa die angebliche
Alleinerbin eines Pharmakonzerns von der „Dreierbeziehung“
zwischen Künstler, Sponsor und Publikum“ schwafeln. Den
auf dem Wolfsberg versammelten höheren Bankangestellten und
geladenen Gästen dürfte nicht entgangen sein, dass auch
UBS als Auftraggeberin der Brunnerschen „Variationen“
mit diesem Spektakel Kultursponsoring betrieb. Brunner wagte es
immer wieder, im Glashaus sitzend, mit Steinen zu werfen und nachdenklich
die Scherben zu betrachten. Auch Frankfurt wird damit rechnen müssen,
dass sein kritischer Stachel sich gegen die Goethe-Vermarktung und
den saturierten Stolz der Geburtsstadt Goethes richten könnte.
Da Brunners Eigenproduktionen bisher immer mit Witz und szenischer
Intelligenz ausgestattet waren, darf sich die Goethestadt auf eine
gewinnbringende Provokation freuen.
(Sigfried Schibli) |
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