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Interviews
KREATIVITÄT IST EIN GESCHENK
von Dominique Bühler, Zolliker Bote, 20159
PHÖNIXGLEICHES WESEN
Interview in «Musik&Theater», Sept. '08
INTERVIEW
mit Rolf Urs Ringger
ZUSTIMMUNG UND KRITIK
Zum Goethe-Geburtstag
(Frankfurt a.M., 28. August 1999)
WIDERSPRUCH UND ZUSPRUCH
Dietrich Schwarzkopf
WO BIST DU GELANDET?
Von Jürg Acklin (1993)
ARMIN BRUNNER, DER AUSSENSEITER
Roland Zag (München, 1998)
DAS SOFA IM PARK
Curt Truninger (1990)
TRADITION UND NEULAND
Interview mit Andrea Meuli (Musik&Theater)
IM INNERN DES KUNSTWERKS
Von Peter Schwaar (1995)
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CASH – 12. Mai 1995
IM INNERN DES KUNSTWERKS
Der Musiker Armin Brunner zeigt neue Wege der Musikvermittlung auf
Von Peter Schwaar
Das gibt es in einem Konzert klassischer Musik selten:
dass nur Zutritt hat, wer aktiv mittut. Armin Brunner,
bekannt für seine Widerhaken in Fernsehproduktionen
und Musikkonzepten, lässt bei Georg Friedrich Händels «Messias» mitsingen.
Zwar ist am Sonntag, dem 21. Mai, um 19.30 Uhr der Eintritt ins Grossmünster frei, doch um in den Genuss des Händelschen Sakralwerks zu kommen, hat man eine Gegenleistung zu erbringen. Nicht in klingender Münze, sondern indem man am selben Nachmittag um 17 Uhr an einer Probe teilnimmt und im abendlichen Konzert auf englisch im «Halleluja»-Chor mitsingt.
Ein Gag? Wiederbelebung des Gemeindegesangs? Keineswegs. Mit der aktiven Teilnahme des Publikums will der 1933 geborene Armin Brunner ein Zeichen setzen, um gängigem Konsumverhalten entgegenzuwirken. Mit solchen Zeichen wendet sich Brunner seit Jahren gegen die herkömmliche Einbahnstrassenvermittlung von Musik - seit er 1970, als er Beethovens Neunte dirigierte, eine Art Knacks und seine bisher geradlinig verlaufene Musikerlaufbahn einen Knick erlitt. «Es wurde mir bewusst, dass der Dirigent, der seinem Orchester Takt für Takt vorschreibt, wie etwas zu klingen hat, ein anachronistisches Wesen ist, das den Weg ins 20. Jahrhundert noch nicht gefunden hat.» Für den von der Achtundsechziger-Bewegung geprägten Brunner etwas Unvereinbares und, nach dem «Parsival»-Besuch als Zwölfjähriger, sein zweites Schlüsselerlebnis. Nun tat er einen Schritt, der für seine Musikerumgebung ein absoluter Sündenfall, für ihn aber eine glückliche Fügung war: Er nahm beim Schweizer Fernsehen eine
Stelle im Musikressort an, dessen Leiter er seit 1979 ist. Die gerümpften Kollegennasen scherten ihn ebensowenig wie die Etiketts, mit denen man ihn behängte. Gilt er mit seinen Filmen innerhalb des Fernsehens als elitär, so wurde er früher in seiner ehemaligen Szene zum Populisten gestempelt.
Das Massenmedium verlieh Brunner Freiheit «Man muss sich aus seiner Szene herauslösen, sonst wird man domestiziert und fragt sich andauernd, was die
andern wohl denken», sagt Brunner heute. «Alle Produktionen, die ich später machen konnte, sind aus dem Widerstand gegen meine eigene Szene entstanden.» Aus diesem Grund trat er auch aus dem
Schweizerischen Tonkünstlerverein aus, da Hochkultur
für ihn nicht im Vereinswesen , sondern in Freiheit und
Unbekümmertheit gedeiht.
Diese Freiheit gab ihm das Massenmedium. Fast nie
wurde ihm die Unterstützung für eine Idee versagt, und
die Musikfilme, die Brunner zusammen mit Regisseur
Adrian Marthaler realisierte, fanden bald weit über die
Landesgrenzen hinaus Beachtung. Spektakulärste
Beispiele sind Maurice Ravels «Tzigane» und die in
einer amerikanischen Bar der zwanziger Jahre gespielte «Rhapsody in Blue» von George Gershwin. Das bisher
ambitiöseste Werk des Gespanns Marthaler/Brunner,
Gustav Mahlers Sechste, wird dieses Jahr beendet.
Zu reden wäre auch von den inzwischen 15
musikalischen Meditationen mit Leuten wie Sölle,
Drewermann, Muschg, Hildesheimer oder Wallraff. Die «Messias»-Aufführung entsteht übrigens
gewissermassen als Nebenprodukt der musikalischen
Meditation «Jesus und Buddha» mit dem Dalai Lama.
Vermehrt zog es Brunner in den letzten Jahren wieder
aus seinem Leutschenbacher Büro hinaus, um seine
Fernseherfahrung auch live umzusetzen, als
Konzeptgestalter und Dirigent. Seine Maxime: Man
muss das Kunstwerk zwingen, seine Eingeweide
blosszulegen. Nur so, meint Brunner, kann man einen
Gegenstand, der zur Gewohnheit geworden ist, wieder
lebendig machen, kann man «die Musik aus der
unheimlichen Fremdbestimmung des Marktes befreien».
Brunners innovative Veranstaltungen sind
legendär
Im Klartext: Durch die Berieselung mit klassischer Musik
in Konzertsaal und Radio wird die Interpretation des
Kunstwerks zum Kunstwerk der Interpretation, und das
Musikstück verschliesst sich immer mehr. «Eine
Brahms-Sinfonie beispielsweise ist, da die Schwelle
fehlt, so verfügbar, dass sie nichts Kostbares mehr ist -
man kann sie einfach haben. Wenn der Konzertsaal so
weitermacht wie bisher und sich allen Veränderungen
verweigert, haben wir sinfonische Endzeit. Aber eher
verändert sich die katholische Kirche als der
Konzertsaal.»
Was Brunners «ungebärdiges Wesen» (Armin Brunner über Armin Brunner) nicht daran hindert, seine
Vorstellungen von Veränderung und Innovation in Zürich
seit Jahren vorzuführen: mit seinen bereits legendären
Veranstaltungen in Helmhaus und Theater 11, etwa dem
Dreimal-fünf-Stunden-Konzert (1974), «Musik zwischen
Gefühl und Kalkül» (1981) und «In Sachen Beethoven»
(1982). Aber auch der Kagel-Zyklus zwischen November
1994 und März 1995 sowie «Arvo Pärt - ein
konzertantes Triptychon» ab Dezember dieses Jahres
gehören hierher. Als regelrechte Publikumsrenner
haben sich die vom Radio-Sinfonieorchester Basel unter
Armin Brunner begleiteten Stummfilme erwiesen
(«Nosferatu», «Panzerkreuzer Potemkin», «Metropolis»), die 1996 wieder aufgenommen werden.
Mit all diesen neuen Vermittlungsformen versucht Armin
Brunner Wege zur Musik anzubieten, die nicht wie das
Konzert saalritual von Quoten und Zahlen bestimmt
werden. Brunner: «Man muss die Dinge in ein neues
Licht rücken, neu verschränken.» So montiert er ein
Streichquartett von Mauricio Kagel mit einem
Schubert-Quartett, Brahms' Deutsches Requiem mit
Schönbergs «Ein Überlebender aus Warschau». Oder
setzt 1990 (und 1993 ein zweites Mal) mit seinem «Sonoptikum» in 43 Veranstaltungen mehr oder weniger
ganz Frankfurt unter Musik.
All diese Events - «manchmal Kraftakte, in denen ich
bewusst die Einheit eines Werks antaste» - sind Angriffe
auf das Hochaltargehabe des Konzertsaals; sie sollen
einen Nährboden, ein Fundament für eine neue
Generation schaffen, die klassische Musik nicht mehr als
Prestigemusik ansieht. Aber die Zuhörenden müssen,
siehe «Messias», bereit sein, die Herausforderung
anzunehmen. |
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