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Armin Brunner


BIOGRAPHIE

(Textfassung)

BIOGRAPHIE

(Illustriert)

LAUDATIO

(2018)




Kulturkreis Zollikon

30. Oktober 2018

 

Im Rahmen der Stummfilmaufführung mit Live-Orchester
„The Mysterious Lady“ (Greta Garbo, Fred Niblo)

Vertonung Armin Brunner Dirigent Christof Escher Sinfonia Ensemble


LAUDATIO FÜR ARMIN BRUNNER von
PROF. DR. HANS CHRISTIAN SCHMIDT-BANSE
UNIVERSITÄT OSNABRÜCK

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

eine Laudatio für Dr. Armin Brunner aus Zollikon? Das wird erstens schwierig und ist mir zweitens sehr unangenehm. Erstens handelt es sich um eine Persönlichkeit, die so gar kein Aufhebens von sich macht; eine, die gerne im Schattenreich operiert und sich auf den Bühnen der Öffentlichkeit ausgesprochen unwohl fühlt. Daraus folgend ist mir zweitens die Verpflichtung auf eine Laudatio unlieb, weil ich weiß, dass Brunner es nicht mag, wenn über ihn geredet wird ... schon mal gar nicht in allerhöchsten Tönen. Im Klartext: er will nicht, und ich darf nicht.

 

Was tun? Mich höflich entschuldigen und gleich wieder verschwinden? Dafür war ich mit dem Zug zu lange hierher unterwegs, ca. neun Stunden ... von Osnabrück kommend ... für Geographieunkundige: das ist knapp unterhalb des Polarkreises. Weil das also nicht geht und außerdem wenig konziliant wäre, gebe ich mir einen Ruck und setze mich sowohl über Brunners Bedenken hinweg als auch über meine eigenen und krame im Gedächtnis. Was mühsam ist, denn ich habe über meine wunderbare Freundschaft zu diesem Armin Brunner kein Buch geführt, leichtsinnigerweise.

 

Es muss Ende 1980, Anfang 1981 gewesen sein ... flattert mir eine Einladung nach Zürich ins Haus ... vom Musikchef des Schweizer Fernsehens höchstselbst ... was denn ich, der sich eben anschickte, wissenschaftlich über Filmmusik und Musikfilm zu grübeln, also was ich denn zu einer frischen Musikfilm-Produktion des Titels 'Rhapsody in Blue' vom jungen Regisseur Adrian Marthaler zu sagen hätte. Auf nach Zürich, Stadtteil Leutschenbach. Dort fällt mir auf, dass besagter Musikchef namens Armin Brunner das exorbitante Regietalent von Adrian Marthaler mit feiner Nase getrüffelt hatte, was geradezu phänomenale Konsequenzen in den kommenden Jahrzehnten haben sollte. Heißt: Brunner und Marthaler hauten mit schöner Regelmäßigkeit einen Musikfilm nach dem anderen heraus. Und sie kassierten mit ebenso schöner Regelmäßigkeit glänzende Goldmedaillen bei internationalen Festivals sowie wütende Proteste des strenggläubigen Wachpersonals von Null-acht-fünfzehn-Musiksendungen im nationalen Fernsehen.

 

Was war passiert? Passiert waren Filme, die mit elegantem, auch mal grobem Witz die Musik nicht im engen, d.h. strukturellen Sinne ins Bild setzten, sondern die Usancen bzw. Absurditäten des profitregulierten musikalischen Kulturbetriebs ins Visier nahmen. Diese kulturbetriebliche Szene mischten Brunner und sein Erfüllungsgehilfe Marthaler ebenso frech wie kreativ auf. Sie gaben der Insbildsetzung von Musik (die sich eigentlich ja gar nicht verbildlichen lässt) eine ganz neue Dimension, eine wahrhaft vergnüglich-unterhaltsame Qualität, aber auch eine Würde, die ihr im täglichen Spielbetrieb ein ums andere Mal genommen wurde und immer noch wird.

 

In diese Zürcher Musikfilm-Mafia, bestehend aus dem Paten Brunner und seinem Scharfschützen Marthaler, bin ich anfangs der Achtziger ahnungslos reingestolpert ... und auf Jahrzehnte hin nicht wieder losgekommen. Warum nicht? Erstens weil dort, in einem verschwiegenen Büro der SRG, Konzepte ausgeheckt wurden, die die Welt noch nicht gesehen und gehört hatte. Weil mich zweitens diese unbekümmerte, zuweilen unverschämte Art des Quer- und um die Eckedenkens derart faszinierte, dass ich spontan diesen beiden kulturellen Bombenlegern wissenschaftliche Treue schwur, sozusagen ... dass ich dann meine rückhaltlose Begeisterung in Worte zu fassen versuchte über deren medienspezifische Zugänge zu musikalischen Kunstwerke mit filmischen Mitteln, welche ihrerseits von unbestreitbarer Kunstfertigkeit waren. Der Täter Brunner und ich, sein wissenschaftlicher Bodyguard, sind zudem Arm in Arm immer wieder bei internationalen Medienkongressen aufgekreuzt, wo manche empörte Neid-Debatte geführt wurde, wo man uns sogar mit Redeverboten belegte.

 

Man hat sich dort in Zürich Musikfilm um Musikfilm ausgedacht, hat jedes dramaturgische wie cineastische Experiment gewagt ... sei's um dem öffentlichen Musikbetrieb gewaltig eins aufs Maul zu hauen, sei's um ins Innere der Musik vorzudringen, wie es z.B. bei Schönbergs 'Verklärter Nacht' oder bei Mahlers Sechster Symphonie atemverschlagend gelungen ist. Und ich ... ich hatte das Glück, diesen Kreativen immer mal wieder über die Schulter schauen zu dürfen, was mich nach wenigen Jahren davon überzeugte, dieser Armin Brunner sei einer Ehrendoktorwürde meiner Universität ohne Wenn und Aber würdig, weil er sich mit seinem Medium um die öffentliche Vermittlung von Musik breitenwirksam verdient machte ... das passierte im Jahr 1985 ... in Osnabrück, knapp unterhalb des Polarkreises. Des Abends haben wir den neuen Herrn Doktor dann tüchtig gefeiert und uns alle noch tüchtiger besoffen. Doch damit nicht genug, noch lange nicht.

 

Eine der großartigsten geistigen Schöpfungen von Armin Brunner und seinem Kollegen Erwin Koller war die sog. 'Musikalische Mediation'. Ein Format, das bis auf den heutigen Tag keine Fortführung gefunden hat und ein Brunner'scher Leuchtturm geblieben ist, einsam und hochaufragend. 'Musikalische Meditation'? Was ist das? Das ist die live aufgeführte und filmisch dokumentierte Auseinandersetzung von geistigen Prominenzen mit musikalischen Kunstwerken ... von Persönlichkeiten wie Wolfgang Hildesheimer, Eugen Drewermann, Günther Wallraff, Wolf Biermann, Luise Rinser etc. Solche Persönlichkeiten stellten sich dem musikalischen Kunstwerk, stellten ihre Fragen, stellten es kritisch in Frage, widersprachen, stimmten zu, ließen sich davon inspirieren. Und der Zuhörer? Er nahm teil an einem lebhaften Dialog zwischen der klangmächtigen Musik und der wortmächtigen Persönlichkeit. Nahm teil an der gespielten Rede und der gesprochenen Gegenrede. Ich maße mir an, die Erfindung der 'Musikalischen Mediation' von Armin Brunner als seine herausragendste Tat zu bezeichnen. Sie setzte einen ästhetischen Maßstab, der bis heute weder erreicht noch überboten wurde, nicht mal kopiert. Dass sie mittlerweile in Vergessenheit geraten ist, gehört leider zu den tragischen Momenten eines schöpferischen Lebens und zu den typischen Erscheinungsweisen einer Zerstreuungsgesellschaft, die auf nichts anderes erpicht ist als auf flockige, halbseidene Events.

Genug? Immer noch nicht. Brunner selber hat keine Filme gedreht, nur die dafür notwendigen Ideen in die Welt gesetzt. Aber er hat jede Menge live-Musik organisiert, ich denke zum Beispiel an die 'Arena-Konzerte' im schicken Kaufleuten-Saal. Auch sie von ganz besonderer Art. Konzertformate mit sorgsam gebautem Wechsel von Sprache und Musik. Rezitationskonzerte, die manchen Komponistenschicksalen gewidmet waren, auch manchen musikalischen Gattungen, aber immer (typisch Brunner) mit thematischen Schwerpunkten im Netzwerk des öffentlichen Musikbetriebs ... im 'Karneval der Töne' zum Beispiel ging es um die Frage, welche Musik man einem Publikum zumuten dürfe: nur die Hochkunst oder vielleicht doch auch das amüsante Niederschwellige? In den 'Duftnoten' sortierte er allerhand musikalische Stile mit dem Beschreibungs- und Beurteilungs-Repertoire der Parfümeure, im Programm 'Vor Morgengrauen' warf er die nur scheinbar ernst gemeinte Frage auf, welche Musik als Schlafmittel am besten geeignet sei. 'Jahrmarkt der Eitelkeiten' eine köstliche Parodie auf den 'Karneval der Tiere', die 'Stimme der Sehnsucht' inserierte Kontaktanzeigen von liebeshungrigen Musikstücken. Lauter schräge Geschichten. Die 'Arena-Konzerte', gesponsort von der UBS, erfreuten sich schluchzender Begeisterung. Sie waren (egal welches Programm) Wochen vorher restlos ausverkauft, mussten aber nach vielen Jahren aufhören, weil der UBS das beklagenswerte Schicksal drohte, am Bettelstab gehen zu müssen.

 

Die 'Arena-Konzerte' im Kaufleuten eine wertvolle Lehr- und Lernwerkstatt. Brunners dort erworbene Meisterschaft zahlte sich aus bei einem ehrgeizigen Vorhaben in Frankfurts Alter Oper, wo er 1990 und 1993 die Mammut-Veranstaltungen 'Sonopticum' aus der Taufe hob nach intensiver Vorbereitungszeit. Schwungvolle Berichte vom 'Sonopticum' raschelten durch sämtliche Gazetten, 35 Konzerte während drei Tagen in allen Räumlichkeiten der Frankfurter Oper machten lautstark von sich reden. Für jedes dieser 35 Konzerte ersann Brunner eigene und teils vollkommen neue Dramaturgien. 'Sonopticum' waren ein gigantische Lehrstücke in Sachen Musik-Präsentation jenseits der ausgetretenen Pfade in zweierlei Hinsicht: einmal bezüglich der ausgewählten Musikwerke (z.B. Ligetis 'Poème symphonique' für 100 Metronome), zum andern bezüglich ihrer künstlerischen Darbietung.

 

Im Jahr 1999 feierte Brunner mit gleichem Aufwand und an gleicher Stelle den 250. Geburtstag von Johann Wolfgang von Goethe, was ihm insofern angelegen war, als er zu den wenigen Musikschaffenden gehört, welche mit großem Appetit Bücher fressen. Auch diese Goethe-Geburtstagsfeier eine faszinierende Mischung aus (um es mit Christian Dietrich Grabbe zu sagen) 'Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung'. Besonders eingeprägt hat sich mir beim 'Sonopticum' ein dreiteiliges Konzertformat im Großen Saal der Alten Oper, darin gefragt wurde: "Wie klang das Jahr 1913?" / "Wie klang das Jahr 1928?" / "Wie klang das Jahr 1968?". Jahresklänge und ihre je besondere Musik, präsentiert als tönende Parallelmontage. Erinnerungen sind nach französischem Verständnis bürgerliche Pflicht. Hier wurden sie zum unvergesslichen ästhetischen Erlebnis.

 

Reicht's? Reicht nicht. Im Jahr 2000 (Brunner erfreute sich bereits des Ruhestands, zumindest auf dem Papier) trat die kulturdemokratische Migros an ihn heran: er möge doch bitte die 'Klubhaus-Konzerte' in seine probaten Hände nehmen. Ja, das hat ihn mächtig gereizt, da konnte er nicht Nein sagen. Er kuratierte die 'Klubhaus-Konzerte' geschlagene zehn Jahre lang, sorgte auch hier für individuelle Akzente und ganz persönliche Duftmarken. Eifrige Besucher werden sich beispielsweise noch des 30-minütigen Vorkonzerts erinnern, an einen von Brunners besonders markanten Fingerabdruck. Mit kammermusikalischen Besetzungen und zwei bis drei Sprechern sollten die Vorkonzerte ein schönes Licht vorauswerfen auf das Hauptprogramm. Gab es dort ein Klavierkonzert von Beethoven, dann wurde Beethoven im Vorprogramm portraitiert, liebenswert und lebensecht. War ein Violinkonzert zu erwarten, dann passierte im Vorkonzert eine Liebeserklärung an die Geige. Brunner nannte diese Kurzveranstaltungen 'Zauber des Augenblicks', sie wurden gestartet als Versuchsballon mit verhaltener Erwartung. Doch sehr bald schon mauserten sich diese 'Zauber des Augenblicks' zum Publikumsrenner, zuweilen wurden bis zu achthundert Besucher gezählt, manche von ihnen kamen nur eigens wegen dieser Preziosen und gingen vor dem Hauptprogramm wieder nach Hause oder ins Wirtshaus ... werden wohl gedacht haben, dass man sich auch von Vorspeisen durchaus gesund und schmackhaft ernähren könne.

 

Die Hauptprogramme der 'Klubhaus-Konzerte' strukturierte Brunner neu und gab ihnen ein unverwechselbares Gesicht, programmatisch einerseits, andererseits durch die Verpflichtung von erstklassigen Orchestern jenseits des Mainstreams. Und auch hier vertraute er dann und wann dem probaten Wechselspiel von gesprochener Sprache und gespielter Musik, z.B. im historischen Bilderbogen der Schweizer Expos im Laufe der Jahrzehnte, auch in der Verzahnung von Ibsens 'Peer Gynt'-Schauspiel und Griegs gleichnamiger Schauspielmusik. Dass ihm dabei exzellente Sprecherpersönlichkeiten wie Anne-Marie Blanc oder Maria Becker zur Seite standen, verstand sich von selbst. Denn was immer dieser Mann anfasste, hatte Hand und Fuß, musste ersten Qualitätsstandards genügen, hatte immer auch und fein spürbar einen Hauch von eidgenössischer Kultur, darin Komponisten wie Othmar Schoeck, Daniel Schnyder oder Arthur Honegger beheimatet blieben.

 

Jetzt aber genug! Genug? Wo denken Sie hin, meine Damen und Herren! Zwischendurch, gewissermaßen beim Telefonieren nebenbei, geht Brunner auf seiner kleinen Lustwiese spazieren, reserviert für Herzensangelegenheiten ... will sagen: seine Vertonungen von alten Stummfilmen ... 'Nosferatu', 'Richard Wagner', 'Carmen', 'Rosenkavalier', 'Panzerkreuzer Potemkin', 'Das Kabinett des Dr. Caligari', 'Wilhelm Tell', 'Metropolis' ... und heute Abend seine Hommage an Greta Garbo ... an diese rätselhafte Schöne, die Dank des Wunderheilmittels Liebe dem verderblichen Sumpf des Spionage-Treibens glücklich entkommen kann. Stummfilmvertonungen ... aber wie? Ein bisschen in Anlehnung an die alte Begleitpraxis aus vergangenen Zeiten, wo ein Orchester oder eine Wurlitzer-Orgel den jeweiligen Szenen mit den jeweiligen Stimmungsgehalten gerecht wurden, indem sie je passende musikalische Charaktere hinzuspielten. Dirigenten, Organisten oder Pianisten bereiteten ein 'Cue sheet' vor ... eine Stichwortliste, damit sie nicht versehentlich die turbulente Prügelszene mit einem langsamen Walzer unterlegten. Armin Brunner geht sorgfältiger vor: er komponiert den gesamten Film durch, leiht sich natürlich bei diesem oder jenem Komponisten mit dessen freundlichem Einverständnis diese oder jene Musik aus, arrangiert sie für Kammerorchester (oder wie im Falle von 'Nosferatu' ein Reißzweckenklavier für die Musik von Bach), und gibt mit den sozusagen neukomponierten Zitaten dezente Hinweise auf den filmischen Inhalt ... heute Abend, Sie werden es blitzartig bemerken, mit Zitaten aus Puccinis 'Tosca', weil Greta Garbo, die Spionin, in die Fänge eines lüsternen russischen Generals geraten ist, einem Typ ähnlich dem grausamen Scarpia in Puccinis Oper. Für die mannigfachen Liebesszenen zeichnet übrigens Erich Wolfgang Korngold verantwortlich. Und dass dort in filmischen Russland Sergej Rachmaninow zu Hause ist, versteht sich von selbst. Lassen Sie mich noch am Rande bemerken, dass in den frühen Jahren des musikbegleiteten Stummfilms der Gang ins Kino immer auch ein Gang in den Konzertsaal war. In den goldenen Zeiten fassten damalige Kinos bis zu 5.000 Besucher, die symphonischen Orchester kamen per Hydraulik nach oben geschwebt und belieferten viele der Besucher mit musikalischen Erst-Erfahrungen. Insofern war das Filmesehen auch ein gutes Stück Musikhören, d.h. solide musikalische Bildung ... man wird es heute Abend wieder hautnah spüren. Ich erwähne es nur, weil die Filmmusik von heute dermaßen auf den Hund gekommen ist, dass es nicht lohnt, ihr auch nur ein halbes Ohr zu schenken.

 

Auf Hunderten von Brunners Notenpapierseiten, die er als Linkshänder bewundernswert kalligraphisch mit Punkten und Strichen bemalt, entsteht ein Netzwerk von offenen und versteckten Hinweisen, von subtilen Kommentaren ... auch von Leitmotiven, deren Funktion man sich tunlichst bei Richard Wagner abguckt. Es gab mal eine beliebte Fernsehsendung mit dem Titel "Erkennen Sie die Melodie?" (ich glaube, mit Ernst Stankovski) ... Brunners Filmmusiken haben einen ähnlichen Unterhaltungswert ... irgendwie kommt einem diese Melodie oder jene Harmoniefolge doch irgendwie, irgendwoher bekannt vor ... irgendwann einmal gehört ... ganz Mutige trauen sich, in solchen Fällen beim Nachbarn leise anzufragen ... doch der könnte dann nur mit der rechten Augenbraue zucken, womit unmissverständlich angedeutet wäre, dass derlei Kenntnisse doch wohl zum Basisschatz des Bildungskanons gehören sollten, oder? Ich fürchte, durch diese bedrückende Erfahrung müssen Sie, verehrte Damen und Herren, am heutigen Abend auch durch.

 

In früheren Zeiten hat Brunner seine Filmmusikpartituren selber dirigiert, immerhin hatte er sich schon vor seiner Zeit als Musikchef des Schweizer Fernsehens einen klangvollen Namen als Orchesterleiter machen können. Ich erinnere mich an den Dirigenten Brunner auch bei besagten 'Musikalischen Meditationen', an seine feine Art der Zeichengebung und seine suggestive Gestik, womit er einen Chor zu leidenschaftlichem Gesang anstiftete. Heute Abend liegt die Verantwortung in den bewährten Händen von Christof Escher, der die besondere Herausforderung meistern muss, dem unerbittlichen Zeitablauf des Films sekundengenau zu folgen, auf dass die Filmspur und der Filmton nicht aus der vorgeschriebenen Balance geraten. Filmmusik zu dirigieren ist insofern besonders heikel, weil es aus dem vorgegebenen Zeit-Korsett kein Entrinnen gibt, kein winziges Rubato erlaubt ist oder ein Atem schöpfendes Päuschen.

 

Genug? Ja, genug! Sage bloß einer, das würde nicht reichen. So möchte ich denn dem hochverehrten und immer bewunderten Herrn Dr. Armin Brunner meine längst fällige Entschuldigung antragen ... lieber Armin, sei nicht böse, dass ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Formulierungen (noch dazu in der Öffentlichkeit) ganz tief meinen Hut ziehe vor Dir, Deiner abenteuerlichen Vita und Deinen künstlerischen Höchstleistungen. Muss obendrein gestehen, als was für einen Glücksfall ich es betrachte, Dir damals vor 37 Jahren über den Weg gelaufen zu sein, aus welcher Zufallsbegegnung dann eine herzliche und fruchtbare Freundschaft erblüht ist ... was haben wir in wievielen Stunden nicht alles befragt, hinterfragt, gesponnen, verknüpft, verworfen, angedacht, quergedacht, nachgedacht, neugedacht ... was uns verbindet, ist der unerschütterliche Glaube erstens an die Würde des musikalischen Kunstwerks ... zweitens an die Würde des ausübenden Künstlers ... und drittens an die Würde des lauschenden Publikums ... drei Säulen, die heute besorgniserregend einsturzgefährdet sind.

 

Man verstatte mir an diesem Punkt eine Fußnote: immer wieder wundere ich mich über ein seltsames Paradoxon: allgemein gelten Schweizer als sehr bzw. stockkonservativ ... aber nirgendwo sonst auf der Welt trifft man auf so viele nonkonforme Verrückte wie gerade in der Schweiz, die Dadaisten lassen fröhlich grüßen ... einer von den ganz Verrückten bist Du, lieber Armin, und lebhaft wünsche ich, dass Du daran bitte nichts änderst.

 

Und Ihnen, liebe Zollikonesinnen und Zollikonesen, wünsche ich jetzt einen gleichermaßen an- wie aufregenden Film- plus Musikgenuss. Auch lassen Sie sich von einem Hergelaufenen aus dem fernen Osnabrück (knapp unterhalb des Polarkreises) lebhaft beglückwünschen, dass in Ihrem schönen Ort am Golbrigweg Nr. 18 ganz lange schon ein ganz Großer wohnt ... Sie haben weiß Gott allen Grund, mächtig stolz auf ihn zu sein.

 

© 30. Oktober 2018 Hans Christian Schmidt-Banse



 
   
   


 
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